Keine Einbahnstraße der Gefühle: Mein erstes Tête-à-Tête mit Teddy
Allem Anfang wohne ein Zauber inne, heißt es. Immer stimmt das sicher nicht, ganz gewiss aber für dieses Aufeinandertreffen zwischen Teddy und mir. Gerade erst sind wir uns begegnet, sofort ist es um mich geschehen. Selbstverständlich ist das nicht Liebe auf den ersten Blick – das wäre eine Illusion, wir sind dann doch ein sehr ungleiches Paar. Immerhin: Auf der Einbahnstraße der Gefühle bin ich heute nicht unterwegs. Interesse und Zuneigung scheint es nämlich auf beiden Seiten zu geben. Aufgerichtete Ohren, dazu zwei braune Augen voller Neugier: Mein neuer Bekannter Teddy ist ein Lama, das sich sichtlich über unser Zusammentreffen freut. Und vor allem auf unseren gemeinsamen Ausflug.
Nach zu viel Stress im Job: Ich plane eine Auszeit in der Bayerischen Rhön.
Teddy: So heißt also jener tierische Begleiter, mit dem ich die nächsten Stunden eine Runde drehen werde, durch die Wiesen und Wälder der Bayerischen Rhön, ganz weit weg vom hektischen Getümmel der Stadt. Die Tour wird mir gut tun nach sehr hektischen Wochen, nach einer außergewöhnlich stressigen Zeit im Job mit viel zu vielen Terminen und To-Do-Listen, die immer länger wurden statt kürzer. Die Lösung, um nicht dünnhäutig und gereizt zu werden: Ein Wochenende als Abschied vom Alltag, eine Auszeit nur für mich selbst, um zu entspannen und neue Energie zu tanken, resilienter zu werden. Und um etwas Neues auszuprobieren.
Bad Kissingen: Heilwasser von den Brunnenfrauen.
Ich möchte durch den Kurpark von Bad Kissingen streifen und kosten, wie das Heilwasser der vielen einzigartigen Heilbrunnen schmeckt. Vor 500 Jahren hat das mineralstoffreiche Wasser den Ruf der Stadt als Weltbad begründet, seine Wirkung ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen. Wassertreten nach Kneipp, Soleinhalieren beim Gradierwerk, Baden in der Therme und ein Rundgang in der Wandel- und Brunnenhalle, wo die Brunnenfrauen die Heilwässer ausschenken: Unternehmen kann man viel. Doch vorher will ich erst einmal zur Ruhe kommen.
Waldbaden ist ein Ritual, das bei mir gut funktioniert hat, als ich das letzte Mal viel um die Ohren hatte. Doch lässt sich Achtsamkeit auch anders einüben, in Kombination mit einer Wanderung? Wie finde ich das innere Gleichgewicht – und sorge dafür, dass ich von einem Erlebnis möglichst lange zehren kann?
Ein Lama als Herzensöffner: Teddy geht mit mir durch dick und dünn.
Über die Orenda-Ranch und die dort praktizierte tiergestützte Therapie werde ich noch mehr erzählen. Doch zuerst soll es um Teddy gehen, meinen Gefährten auf Zeit. „Teddy ist ein Herzensöffner“, wird mir versprochen, als ich ihn am Halfter aus dem Stall führe. Skeptisch wie immer, habe ich da so meine Zweifel. Zu Unrecht. Denn schon nach wenigen Metern auf dem Feldweg stellt sich das Gefühl ein: Wenn es darauf ankommt, geht Teddy mit mir durch dick und dünn. Er passt sich an mein Tempo an – oder ich an seines? Normalerweise hetzte ich beim Wandern, doch mit Teddy gehe ich es langsamer an. Liegt es daran, dass wir wirklich auf Augenhöhe unterwegs sind?
Wir sind ein Team: Teddy kann ich alles erzählen
Teddy läuft übrigens nicht nur gerne ins Bild, wenn man seine Freunde in der Herde fotografiert. Er geht, wenn er mit einer Gruppe Menschen wandert, als Leittier am liebsten voraus. Diese Rolle übernehmen wir nun gemeinsam: Mit der Führleine an seinem Halfter spazieren wir vorneweg. Wir sind ein Team, aber eines mit respektvoller Distanz. Teddy bedrängt mich nicht, anders als es ein Hund vielleicht tun würde, strahlt aber gleichzeitig große Offenheit aus. Ich habe das Gefühl, ihm alles erzählen zu können.
Was wir besprechen, muss leider unter uns bleiben. Doch was ich hier verraten kann: Natürlich kommunizieren wir wortlos – und verstehen uns. Er weiß auch immer, wohin ich möchte, ohne dass ich ihm das sagen muss. Gleichzeitig bemerkt er sofort, wenn ich in Gedanken abschweife und nicht mehr bei ihm bin. Dann bleibt er stehen und sucht nach leckerem Löwenzahn. Ich frage mich: Wie kann ich mit einem Tier, das ich gar nicht kenne, so schnell vertraut sein?
Sanftmütig und intelligent: Die Tiere sind ideale Helfer für die Therapie
Teddy ist eines von 35 Lamas und Alpakas, die Menschen dabei helfen, Probleme zu überwinden. Ursprünglich stammen die größeren Lamas und die kleineren Alpakas aus Südamerika, wo die Neuwelt-Kamele einst domestiziert worden sind. In den Anden sind sie Lasttiere oder werden wegen ihrer Wolle gezüchtet, in Europa kannte man sie lange Zeit nur als drollige Zirkustiere. Ihr sanftmütiger Charakter und ihre Intelligenz machen sie aber auch zu idealen Helfern für die tiergestützte Therapie bei Ängsten, Essstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten.
„Meerschweinchen, Katzen, Esel, Ziegen, Pferde: Ich habe mehr als 25 Jahre Erfahrung mit tiergestützter Therapie. Aber Alpakas und Lamas sind etwas Besonderes: Mit ihnen fühlen sich die Menschen noch intensiver verbunden“, erzählt GESUNDES BAYERN-Expertin Birgit Appel-Wimschneider. Weil die Gründerin der Orenda-Ranch mehr bietet als simple Wanderungen, ist sie inzwischen eine gefragte Referentin für Coachings und Weiterbildungen. Man kann sich bei ihr sogar zum Alpaka- oder Lamatherapeuten ausbilden lassen.
Mein Ziel: Ich will zur Ruhe kommen, bevor der Burn-Out droht.
Burn-Out? Depression? Lebenskrise? Das kann jede(n) ganz unerwartet treffen. Also nicht nur irgendwelche anderen Menschen, sondern auch mich persönlich?! Das muss man sich erst einmal bewusst machen – gerade dann, wenn man wie ich den Eindruck hat, im Großen und Ganzen eigentlich alles ganz gut im Griff zu haben. Besser also, man sorgt rechtzeitig vor, um genügend Energie für den Alltag zu haben. Denn nicht nur Magen und Muskeln lassen sich trainieren, sondern auch die mentale Stärke. Dafür braucht es vor allem eines: Entspannung.
„Die Tiere spiegeln Emotionen direkt und unverfälscht wider und machen dadurch innere Prozesse bei den Menschen sichtbar“, erklärt Birgit Appel-Wimschneider. Das lässt sich nutzen – gerade auch zur Vorbeugung. Beim Spaziergang durch Wald und Flur lerne ich also nicht nur die besonderen Tiere kennen, die mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ich höre auch endlich mal in mich selbst hinein – und bin damit schon auf dem richtigen Weg.
Trotz Blind Dates mit Urmel und Richi: Teddy bleibt mein Favorit.
Bei einem Blind Date achtet man(n) natürlich zuallererst auf das Äußere – Nähe und Geborgenheit, Intimität und Fürsorge entstehen erst später. Ich lerne Urmel kennen (traumhaft flauschiges Fell, ein eher zurückhaltender Typ) und Richi (eine lauffaule Diva, die gerne im Mittelpunkt steht). Mein Favorit aber bleibt Teddy. Seine braunen Augen mustern mich neugierig, er wirkt tiefenentspannt und zufrieden – und scheint diese Stimmung auf mich zu übertragen.
Scheu und zurückhaltend ist der Lama-Hengst nicht. Zur Begrüßung geht er ein paar Schritte auf mich zu. Was die Frisur angeht, so mag er es eher wild: Seine abstehenden Haare verleihen ihm etwas Keckes. Vor allem aber ist sein schwarz-weißes Fell so wollig und wuschelig, dass man ihn einfach streicheln muss.
Sehen, hören, riechen, ertasten und erschmecken: Ich erlebe die Natur mit allen Sinnen.
Sehen, hören, riechen, ertasten und erschmecken: Mit Teddy erlebe ich die Natur nicht mehr nur beiläufig im Vorübergehen, sondern mit allen Sinnen. Ein sanfter Lufthauch transportiert die ätherischen Düfte der Wiesenblumen in die Nase. Milchkühe muhen. Auf einer Streuobstwiese klopft ein Buntspecht die Borke eines knorrigen Apfelbaums nach Insekten und ihren Larven ab. Ich nasche Beeren und drücke mich tief im Wald an feuchten, mit Moos bewachsenen Buchen vorbei, um später mit einer Aussicht aufs Dorf belohnt zu werden.
Warum die gesteigerte Aufmerksamkeit? Zum einen ist die Wanderung kein strammer Marsch, eher ein gemütliches Flanieren. Zum anderen sorgt mein außergewöhnlicher tierischer Reisegefährte dafür, dass ich meine Umwelt viel bewusster wahrnehme als üblich. Schritt für Schritt merke ich, wie sich die Anspannung in meinem Körper löst. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass Teddy zum Ende der Tour zu summen beginnt. So zeigen Lamas, dass es ihnen gut geht. Ich summe enthusiastisch mit. Glücklicherweise hört uns niemand!
Teddy begleitet mich weiter. Wenn auch nur in Gedanken.
Für das ursprünglich geplante Programm in Bad Kissingen hatte ich am Ende kaum Zeit. Ich habe mich länger als geplant im Stall herum getrieben, bin den Mitarbeiterinnen der Ranch im Weg herum gestanden, habe sie ausgefragt – der Abschied fiel mir dann schwerer als gedacht. Irgendwann komme ich aber sicher wieder nach Bad Kissingen zurück, für eine echte, längere Trinkkur.
Von meinem Wochenende nehme ich mehr mit nach Hause als das Heilwasser, die ich mir für den Heimweg abgefüllt habe. Im Gepäck habe ich auch die Erinnerung an ein Erlebnis, das mich berührt hat, und von dem ich noch lange zehren werde. Auch bei den nächsten Spaziergängen im Wald wird mich Teddy also begleiten. Zwar nur in Gedanken. Aber auch das wird mir sehr gut tun.
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