Ich-Zeit im Wald: Nichts ist dann wichtiger als man selbst
Ein paar von uns sind während der Vorstellungsrunde zunehmend verunsichert. Einige Mitstreitende haben nämlich schon Erfahrungen mit Faszientraining, und immer wieder taucht in ihren Erzählungen das unschöne Wort „Schmerz“ auf. Klar, dass uns Unerfahrenen mulmig wird: Ob es wirklich eine gute Idee war, uns für die Faszienwoche in Bad Griesbach anzumelden?!
Bad Griesbach ist jedenfalls nicht das Problem, so viel habe ich schon gesehen: Der Ortsteil mit der Therme liegt auf einem Hügel, rundherum erstreckt sich die sogenannte niederbayerische Toskana. Und das Training? Auch nicht, denn zum Glück sitzt Kursleiterin Martina Krompaß unter uns.
Wichtig: Immer schön den Atem fließen lassen
Die Physiotherapeutin beruhigt skeptische Gemüter, was nicht nur an ihrem weichen Bayerisch liegt: Sie bezeichnet das, was man beim Faszientraining gerne mal spürt, als „Wohlweh“. Sicher könne es auch mal zwicken, gerade, wenn man mit einer Rolle oder einem Ball eine besonders verklebte Faszie erwische. Was dann helfe: sich nicht auf den Schmerz konzentrieren, sondern den Atem fließen lassen und sich immer wieder auf das anschließende Gefühl der Dehnung und Entspannung freuen. „Dann macht man Faszientraining auch gern. Schließlich soll euch die kommende Woche ja Spaß machen.“
Wir, das sind 13 Frauen und Männer, die sich zur „Aktivwoche – Faszientraining.Spezial“ angemeldet haben, einem Programm, das viele Betriebskrankenkassen bezuschussen. Sechs Tage lang werden wir also nicht nur immer wieder im wohlig warmen Thermalwasser planschen, für das das Heilbad so bekannt ist: Wir werden uns vor allem unseren Faszien widmen.
Faszien: Ein Wunderwerk wie ein elastisches Spinnennetz
Damit wir wissen, was wir vorhaben, projiziert Martina ein paar Folien an die Wand des Kleinen Kursaals, unserem Trainingsraum für die kommende Woche: Faszien sind ein dreidimensionales Netzwerk aus Bindegewebe, das in Linien angeordnet den ganzen Körper durchzieht. Es sieht aus wie ein elastisches Spinnennetz oder wie diese dünne, weißliche Haut über einer rohen Hühnerbrust. „Dieses Netz umhüllt, verbindet und stützt Muskeln, Gefäße, Knochen, Nerven und bettet die Organe ein“, erklärt Martina, „unter anderem, damit wir Kraft übertragen und Spannung halten können.“ Außerdem erfahre ich, dass Faszien auch am Stoffwechsel beteiligt sind: Sie transportieren unter anderem Flüssigkeit und können auch Reize sowie Informationen empfangen und weiterleiten.
Ich bin baff. Warum habe ich mich eigentlich nicht schon früher mit diesem Wunderwerk in mir beschäftigt? Zumal es schon erstaunlich ist, was man mit Faszientraining alles erreichen kann: Die gesamte Haltung und Beweglichkeit verbessern, was ich als Schreibtischarbeiterin mit den üblichen Verspannungen und Schmerzen wirklich gut gebrauchen kann. Außerdem: Schmerzen lindern, die Durchblutung fördern, vor Verletzungen schützen. Auch toll: Tiefe Techniken, die sogenannte Fibrolyse, führen dazu, dass sich neue Kollagenfasern bilden und die alten ersetzen. Die Strukturen verjüngen sich mit der Zeit. Ein natürlicher Jungbrunnen also – wenn auch nur bei regelmäßigem Training.
Das erste Training: In die Füße spüren
Und damit legen wir jetzt auch los! Dass wir mit der Rückenlinie starten, kommt mir und meinen Verspannungen sehr entgegen. Martina erntet etwas irritierte Blicke, als sie uns die erste Übung zeigt: Im Stehen und im Tempo einer sanften Massage einen Tennis- oder Golfball unter dem rechten Fuß kreisen lassen. „Ja, das stimmt schon“, sagt sie, „hier beginnt nämlich die Rückenlinie.“ Dieser Faszienstrang zieht sich von der Fußsohle über die Waden und Oberschenkelrückseite bis ins Becken und verläuft dann weiter rechts und links der Wirbelsäule entlang über den Kopf bis zu den Augenhöhlen. Während wir in die Fußsohlen spüren, herrscht konzentrierte Stille im Kleinen Kursaal. Nur das Rollen der Tennisbälle und das Doing-Doing-Doing der davon hüpfenden Golfbälle ist zu hören. Dann bittet Martina uns, den bearbeiteten rechten Fuß mit dem unbearbeiteten linken Fuß zu vergleichen. Wow, was für ein Unterschied! Und wie herrlich kann bitte so etwas Einfaches sein!? Sofort lege ich den Ball unter den anderen Fuß, mache weiter – und mag Faszientraining!
Zumindest die meisten Übungen. Denn manche wirken auf Neulinge wie mich eher umständlich. Die nächste für die Wade zum Beispiel: Ich sitze auf der Matte und lege mir die Faszienrolle – sie besteht aus festem, schwarzem Schaumstoff – unter den rechten Unterschenkel. Die Arme nach hinten gestützt, rolle ich mit Druck an der Wade entlang nach oben. „Ihr solltet besonders im Beinbereich nur in Richtung Herz rollen“, erklärt Martina, das unterstütze den Lymphfluss und schütze die Venenklappen. „Also vor der Kniekehle den Druck wegnehmen und dann die Rolle ohne Belastung wieder nach unten rollen.“
Druck machen – aber immer mit Gefühl!
Wie ein aufgedrehter Gartenschlauch wackle ich bei diesen fünf, sechs Wiederholungen hin und her: Die Übung geht total in meine untrainierten Arme, außerdem ist der Bewegungsablauf völlig neu für mich. Und doch: Wenn ich genau hinspüre, merke ich, an welchen Stellen meine Faszien mehr Aufmerksamkeit brauchen. Dort verstärke ich den Druck, mal kreisend, mal langsam vor und zurück oder kreuz und quer rollend. Irgendwie, als würde ich Pizzateig ausrollen.
Egal welche Stelle wir bearbeiten: Es tut richtig gut. Für den unteren Rücken zum Beispiel lehnen wir uns an die Wand, legen die Rolle dazwischen und bewegen uns auf und ab. So richtig gezielt komme ich zwar nicht an meine verklebten Stellen. „Macht nichts“, sagt Martina, "denn auch bei dieser oberflächlichen Technik wird das Fasziensystem angeregt. Außerdem überdeckt der Bewegungsreiz dabei den Schmerzreiz. Deshalb reicht es oft aus, den unteren Rücken im Stehen einfach nur durch Reibung zu aktivieren, wie gerade eben.“ Für den oberen Rücken ist ein Tennisball neben der Wirbelsäule die Wohltat schlechthin. Auf und ab und: ahhh!
Faszienlinien: Manche brauchen mehr Aufmerksamkeit
Mehr „auuu“ als „ahhh“ erlebe ich am nächsten Tag an den Armen, als wir die Armlinie bearbeiten: Die Muskulatur ist hier eindeutig feiner. Und dass ich täglich mit der Maus arbeite, lässt mich der Tennisball am rechten Oberarm auch spüren. „Verteilt den Druck langsam und achtsam, erspürt die eigene Schmerzgrenze. Geht nicht darüber hinaus“, sagt Martina, als sie angespannte Gesichter sieht. „Und lasst den Atem fließen!“ Stimmt, wenn es sich erst mal unangenehm anfühlt, atme ich tief ein- und noch länger aus – und schon kann ich viel leichter loslassen.
Atmen ist auch beim Faszien-Yoga essenziell, das wir danach mit GESUNDES BAYERN-Expertin Susanne Lindlbauer üben dürfen. Die Asanas und Yinyasas, also die Körperhaltungen und Bewegungsabläufe, die sie uns vormacht, kenne ich. Den herabschauenden Hund zum Beispiel, den Krieger, den Baum. Doch die Abfolge ist schneller, als ich das vom „normalen“ Hatha-Yoga kenne: Der Körper ist mehr in Bewegung, die Vinyasas gehen fließend ineinander über. „Das spricht die Faszienbahnen insgesamt an“, erklärt Susanne. Zwischendurch bleiben wir trotzdem immer wieder länger in Asanas. Nämlich genau in denen, die uns besonders gut dehnen. Ganz genau kopieren müssen und sollen wir Susanne dabei nicht: Da Körper unterschiedlich gebaut sind und sich auch das Fitnesslevel variiert, fordert uns die Lehrerin auf, in uns hineinzufühlen. So finden wir heraus, welche Bewegungsnuance, welche Dehnung, welche Rotation die richtige ist – für uns ganz persönlich.
Platsch: Thermalwasser ist die perfekte Ergänzung
Jetzt aber: planschen! Denn nach dem Training auf der Matte steht für die Gruppe täglich noch eine halbe Stunde Aqua-Fit in der Wohlfühl-Therme auf dem Programm. Das passt super zum Faszientraining: Das bis zu 37 Grad warme Wasser hat einen sehr hohen Fluoridgehalt, was gerade dem Bewegungsapparat gut tut. Dazu fördert es die Durchblutung, entspannt die Muskeln, entsäuert das Bindegewebe und kurbelt den Zellstoffwechsel an. Danach treibe ich durch einige der 16 Innen- und Außenbecken und den lustigen Strömungskreisel. Es gibt sogar eine moderne Sauna, einen Hamam und eine Salzgrotte mit Licht- und Klangeffekten! Trotzdem kuschle ich mich erst mal im Bademantel auf einen Liegestuhl auf der großen Wiese, blinzle in die warme Herbstsonne und schlummere gemütlich ein …
Dass das vorgegebene Programm immer mittags endet, ist prima! Schließlich gibt es in Bad Griesbach noch viel mehr zu tun. Nordic Walking zum Beispiel. Martina führt uns rund um den Luftkurort, wir schauen vom Hügel hinunter über weite Wiesen, Getreidefelder, Kirchen, Pappeln. Wäre es heute nicht so diesig, könnten wir am Horizont die Alpen sehen, sogar den Watzmann. Trotzdem schön, was wir während unseres Auf und Abs entdecken: urige Bauernhöfe, Pferdekoppeln, Streuobstwiesen mit Apfel- und Kastanienbäumen (Selbstversorgung erlaubt!). Wie schön ist bitte das sanfte Rottal!?
Und am Schluss: Leicht wie eine Feder
Als letztes Highlight mache ich einen Ausflug über den Inn ins österreichische Schärding. Im Zentrum des kleinen, netten Barock-Städtchen kuscheln sich bunte Häuser aneinander, von den alten Festungsmauern aus kann man auch bis in die Berge blicken – und nahe des Flusses gibt es eine feine Orangerie, in der man entspannt Kaffee trinken oder wunderbar mediterran essen kann. Ich federe mit meinem durchgedehnten Körper durch die gepflasterten Gassen, fühle mich leicht, energetisch, kraftvoll. Sicher spüre ich auch die Muskeln, die in der letzten Zeit im Dämmerschlaf waren. Aber nix mehr Wohlweh. Nur noch: Wohlgefühl.
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