Ich bin schon ein bisschen nervös, als ich auf dem Weg zur Konsultation bei der indischen Ärztin Dr. Viny bin. Ob sie mich schief ansieht, weil ich mich gerade recht undurchdacht ernähre, mich relativ wenig bewege, mir zu wenig Zeit für mich frei räume? Ob sie mir nahelegt, auf meine drei Tassen Kaffee pro Tag und meine abendliche Belohnungsschokolade zu verzichten? Naja, sie hätte schon recht: Ich habe meinen gesunden Lebensstil in den vergangenen Monaten ziemlich vernachlässigt. Ich war einfach zu beschäftigt mit sehr viel Arbeit, sehr wenig Freizeit – und dann ist da ja auch noch diese Pandemie mit ihrem zermürbenden Auf und Ab.

Akkus aufladen auf Ayurvedisch

Ich bin also zum Glück nicht wirklich krank, aber der Stress und alles, was er auch körperlich mit sich bringt, machen mir das Leben schwerer als mir lieb ist. Ich freue mich deshalb umso mehr über ein paar Tage Pause im Ayurvedazentrum Deutschland. Hier, genauer im Hotel Fontana im UNESCO Welterbe Bad Kissingen, Mitglied von „Great Spa Towns of Europe“, arbeiten ausschließlich indische TherapeutInnen und ÄrztInnen aus dem südwestindischen Kerala. Auch Dr. Viny kommt von hier.

Doch als sie mich in ihrem lindgrünen Untersuchungszimmer begrüßt, löst sich jegliche Sorge sofort in Luft auf. Die Ayurveda-Ärztin ist jung, freundlich, zugewandt und fragt in einem wunderbaren Deutsch einige Dinge ab: Schlaf, Appetit, Essgewohnheiten, Verdauung, Tagesablauf, Energielevel, Persönlichkeit. Sie tastet mit ihren schönen, langen Fingern meinen Puls, mal benutzt sie dafür drei, dann nur zwei, nur einen, wieder zwei. Sie sieht sich meine Zunge an und blickt in meine Iris. Im Liegen drückt sie vorsichtig auf meinen Bauch, kneift mir sanft an meinen Beine entlang nach unten, die Wirbelsäule und der Rest vom Rücken werden auch noch untersucht.

Zeit für Diagnostik

Schief angesehen? Werde ich ganz und gar nicht. Stattdessen erklärt mir Dr. Viny in aller Ruhe, dass sie mich durch ihre Analyse einem von drei Doshas zuordnen kann: Vatha, Pitha und Kapha. Diese Konstitutionstypen beeinflussen meine biologischen, körperlichen und medizinischen Funktionen des Körpers sowie meinen Geist und meine Seele. Sie sind die Basis für alles, was im Ayurveda folgt, bestimmen also meine Ernährung, meine Routinen, meine Behandlung.

Seit mehr als 5000 Jahren wird der Menschen in der traditionell indischen Medizin in seiner Gesamtheit betrachtet. Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Ayurveda als Naturheilverfahren anerkannt – und zusammen mit der westlichen Medizin eine Top-Kombination für ein gesundes Leben, finde ich. Denn hier geht um mehr als Wellness: Vor allem chronische Krankheiten wie Schmerzen, Hautkrankheiten, Verdauungs- und Schlafstörungen, Depressionen und Stress lassen sich damit sehr gut behandeln. Im Idealfall entstehen diese Probleme durch einen zum Dosha passenden Lebensstil aber erst gar nicht.

Von Vatha, Pitha und Dosha

„Sie haben zwar auch Pitha-Anteile, aber Vatha ist dominant und damit ein bisschen zu hoch“, erklärt mir Dr. Viny. Sie vergleicht Vatha mit Wind und Luft, beides ist – wie ich – ständig in Bewegung: Man braucht immer Neues, findet nicht leicht zur Ruhe, hat einen leichten Schlaf. Der ganze Körper ist eher trocken, Hände und Füße oft kalt. Vatha-Menschen sind feinfühlig, kreativ und begeisterungsfähig, dafür aber auch etwas schneller nervös und zerstreut. Neurologische Störungen, Gelenk-, Kopf- und Rückenschmerzen, Verdauungsprobleme, Angstzustände – all das kann ihnen das Leben schwer machen.

„Pitha-Leute sind wie das Feuer“, sagt Dr. Viny. Sie stecken voller Energie und sind sehr leistungsstark, haben immer einen konkreten Plan, können sich gut durchsetzen, neigen zum Perfektionismus, sind scharfsinnig, selbstbewusst, sind talentiert im Führen und haben einen guten Appetit. Bluthochdruck, Entzündungen, brennende Augen, Akne und Allergien – das sind typische Pitha-Sorgen. Und die Kapha-Menschen? „Die kann man sich wie das Wasser oder die Erde vorstellen“, sagt Dr. Viny: Sie sind gemächlich, strukturiert, belastbar, in sich ruhend, sehr herzlich, offen und friedfertig. Sie könne gut zuhören, neigen aber zur Lethargie. Ein typischer Schwachpunkt ist deshalb Übergewicht. Dazu können Atemwege, Allergien, Kreislauf und Depressionen Schwierigkeiten machen.

Die Doshas in Balance bringen

Das Schöne am Ayurveda: Jeder darf so sein und bleiben, wie er ist. Man sollte nur versuchen, die drei Doshas etwas mehr in Balance zu bringen. Sprich: Ich als Vatha sollte zusehen, dass die anderen Anteile etwas mehr Raum bekommen – mehr Ruhe und Regelmäßigkeit zum Beispiel und mehr Wärme in meinem Körper.

Schon nach den 45 Minuten mit Dr. Viny fühle ich mich wesentlich geerdeter. Es ist toll, dass sich jemand so für mich interessiert, mich sieht und wahrnimmt. Und sie kann mir schon jetzt sagen, was mir persönlich ganz konkret gut tun wird. Mein zeitweiliger Lieblingssport Joggen zum Beispiel ist wegen meiner Gelenke nix, lieber mehr Radfahren, Schwimmen, Spazierengehen. Sie legt mir auch Yoga und Meditation ans Herz, am besten mit Musik wie beim Mantrasingen, damit mein unruhiger Geist beschäftigt ist. Beides kann ich gleich im Hotel machen: Jeden Morgen um 7 Uhr gehe ich zum Yoga-Stunde und nachmittags auch einmal zum Mantra-Singen.

Mit Gewürzen wärmen

Auch über Ernährung lerne ich in kurzer Zeit sehr viel: „Sie brauchen leichtes, gut verträgliches und eher warmes Essen, dazu wärmende Gewürze“, sagt Dr. Viny. Statt meines morgendlichen Müslis mit Joghurt und Obst zum Beispiel lieber warmes Porridge, dazu gedünstetes Obst mit Zimt, Kardamom, Ingwer und Nelken. Lecker! Kaffee und Schokolade sind okay, aber nur als Genussmittel, und nicht – wie es bei mir manchmal passiert – als fast schon Suchtmittel. Außerdem wäre es abends für mich besser, statt kaltem lieber getoastetes Brot und dazu eine Suppe zu essen. Hm, naja, jeden Abend Suppe? Ich weiß nicht so genau… Die rohen Gurkensticks, die ich mir zur Brotzeit mache, sind übrigens okay, wenn sie mit Öl, Zitrone und Pfeffer daher kommen: Diese Gewürze machen wegen ihres thermischen Effekts das kalte Gemüse auf andere Art „warm“. So vertrage ich es besser und werde auch besser schlafen.

Jetzt habe ich Hunger! Zum Glück ist das ayurvedische Essen im Hotel Fontana unglaublich gut. Morgens etwa gibt es Köstlichkeiten wie Dinkelgrießbrei mit warmen Pfirsichen und Aprikosen. Oder geröstete Getreideflocken mit gedünsteten Bananen. Das macht mich gerade morgens merklich kuschelig warm. Wie überhaupt das ganze Essen: Es fühlt sich an, als würde ich von innen mit einem warmen Fell ausgekleidet. Mittags gibt es immer drei Gänge, etwa Minestrone oder frischen Sprossensalat mit Zitrone und Koriander. Danach Karottenreis mit gebratenem Fenchel, Brokkoli, gerösteten Kürbiskernen und Apfel-Curry-Dip. Scheinbar schlicht, aber mit diesen Gewürzen: ein Gedicht! Zum Nachtisch werden Leckereien wie Nusskonfekt oder Knuspergebäck mit karamellisierten Pflaumen serviert. Und abends? Suppe. Mal Linse, mal Sellerie, dazu Polenta oder Kräuterwaffeln. Okay, so kann ich mir das tatsächlich jeden Abend vorstellen.

Medizinisches Entspannungsprogramm

Zum Ayurveda-Programm gehören natürlich auch Behandlungen. Kräuterstempel-Massage, Inhalation, Stirnguss – und: Massagen! Am zweiten Tag darf ich vormittags die berühmteste ihrer Art ausprobieren, sie heißt „Abhyanga“ und ist eine synchrone Ganzkörper-Massage. Das warme Öl und die Kräuteressenzen sollen Giftstoffe im Bindegewebe lösen, die das Lymphsystem sofort abbaut. Die Aktivierung bestimmter Vitalpunkte werden mich zusätzlich entspannen und die zeitgleichen Berührungen durch zwei Therapeutinnen alles noch wesentlich effektiver machen. Also los!

Im warm beleuchteten Behandlungsraum empfängt mich indische Musik. Sie lullt mich nicht ein, sondern weckt mich eher auf, schließlich soll sich mein Körper hier aktiv ans Werk machen. Auch deshalb hat mir Dr. Viny empfohlen, nach der Massage zwar zu ruhen, aber nicht zu schlafen. „Das würde den Körper bei der Arbeit unterbrechen.“ Ich setze mich vor Therapeutin Reji, die erst meinen Kopf und Nacken mit duftendem Öl bearbeitet. Es hat Zimmertemperatur, damit ich sprichwörtlich einen kühlen Kopf bewahre. Nachdem ich mich auf dem Bauch in die warme, weiche Liege sinken lasse, legen Reji und ihre Kollegin Reena los: Von oben bis unten spüre ich warmes, würzig duftendes Öl auf der Haut, dazu mal Druck, mal leichte Bewegungen oder schwungvolles Ausstreichen. Auch die Vorderseite kommt dran und als krönender Abschluss mein Bauch. Es ist definitiv intensiver als das, was ich bisher kennengelernt habe. Ich kann tiefer in mich hinein spüren, habe gute Gedanken und fühle mich, als würde irgendwas in mir etwas gerader gerückt. Wieder im Zimmer, bin ich ein bisschen durch den Wind, aber fühle mich herrlich leicht.

Herrliche Umgebung

Entsprechend leichtfüßig mache ich mich nachmittags auf den Weg ins nahe Zentrum von Bad Kissingen, von der UNESCO gerade erst zum Welterbe gekürt. Völlig zurecht: Es ist Sommer und es duftet wie im Urlaub – nach bunten Blüten, saftigem Gras, dichtem Wald, der sich hinter der Stadt auf mehreren Hügeln ausbreitet. Im Kurpark verleihen Palmen und prächtige Blumen der grandiosen Kulisse aus Arkadenbau, Wandelhalle und Regentenbau mediterranes Flair. Die Vögel zwitschern um die Wette und ein paar Schritte weiter schlängelt sich die fränkischen Saale samt Seerosen und bunten Uferblumen durch Rosengarten und Luitpoldpark. Bin ich etwa versehentlich in Italien gelandet?!

Als ich an Tag drei im Hotel Fontana wieder meine sieben Sachen packe, wird klar: Die Schnuppertage sind kurz. Trotzdem nehme ich viel mit nach Hause. Einen relaxteren Körper. Einen entspannteren Geist. Und viele neue Ideen, vor allem für eine Ernährung, die mit nur kleinen Änderungen besser zu mir passt als bisher. Das nächste Mal bleibe ich länger, ganz sicher!

INFOS:

Ayurveda-Einsteiger-Paket inkl. zwei Übernachtungen, Vollpension, Diagnostik, Ganzkörper-Behandlung und mehr ab 400 Euro, www.hotelfontana.de.

Die analog arbeitende Dependance des Ayurvedazentrums Deutschland residiert im Hotel Kunzmann’s im nahen Bad Bocklet, www.kunzmanns.de.

Weitere Angebote und Infos auf der Seite von GESUNDES BAYERN.

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Ihr Experte
Susanne Pahler
Nach ihrem Literaturwissenschafts-Studium sowie einer Ausbildung zur Journalistin reiste Susanne Pahler auf ferne Kontinente, wohnte länger in Berlin, Hamburg sowie New York City – und kam trotzdem immer wieder nach München zurück. Ihre Geburtsstadt ist einfach schwer zu toppen! Seit 2008 schreibt sie als freie Journalistin vor allem für Frauen-, Eltern- und Reisemagazine, außerdem hat sie zwei Bücher veröffentlicht, darunter einen München-Reiseführer. Die Wochenenden verbringt sie trotzdem gerne beim Wandern und beim Faulenzen an einem See, einem Bach oder, natürlich: der Isar.

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