Früh aufstehen ist nicht so wirklich das, was mir liegt. Der oft zitierte „frühe Vogel“, der irgendwelche Würmer fängt, kümmert mich recht wenig. Jeden Morgen drücke ich die Snooze-Taste meines Weckers und das nicht nur einmal. Und nun stehe ich schon zum zweiten Mal freiwillig zum Morgengrauen auf. Warum? Ich will zurück, nicht nach Westerland, sondern an meinen Moorsee.
Das erste Mal ist hart. Während die Moormänner extrem früh morgens in den Hotels die warmen Moorbäder vorbereiten, für die richtige Temperatur und Moordichte sorgen und die Gäste noch unter dicken Federbetten schlummern, mache ich mich auf zur Morgenmeditation. Das soll nicht nur guttun, sondern hat es sogar auch getan. Lag es an der einzigartigen Atmosphäre, an der beruhigenden Stimme von Carina Matussek, Achtsamkeitstrainerin und heute mein Meditationsguide, oder vielleicht daran, dass ich mich tatsächlich überwinden konnte, mein warmes Bett und das Hotel noch vor dem Frühstück zu verlassen? Ich denke, es war alles zusammen. Jedenfalls lässt mich der See seitdem nicht mehr los.
Augen schließen - atmen, ganz bewusst – spüren, mich und die Kraft des morgendlich Ortes – loslassen und ankommen. Es funktioniert, die Gedanken gehen auf Reisen, während Carina mit meditativ-monotoner Stimme eine unendliche Ruhe verbreitet.
Raus aus den Federn und ab an den See
Bad Bayersoien ist das jüngste bayerische Bad. Es trägt seinen Titel erst seit 1996. Der See des kleinen Kurortes ist dafür umso älter. Er stammt noch aus der letzten Eiszeit, als sich die Gletscher langsam zurückgezogen und das Land darunter freigegeben haben. Und wie er so am Morgen daliegt, wirkt er doch ziemlich frisch. Angeblich ist er gar nicht so kalt, wie er aussieht. Das jetzt auszuprobieren, ist nun wirklich nicht mein Ding. Da lasse ich lieber die anderen schwimmen. Und tatsächlich, am Südufer steigt eine badehaubenbestückte Dame ganz vorsichtig ins Wasser, pustet kurz und schwimmt davon. Später treffe ich bei meiner Wanderung um den See auf noch mehr mutige Frühbader. Sie versuchen, das ganze Jahr an ihrem Morgenbad festzuhalten. Ich kann es verstehen, zumindest von der Optik her. Er lockt, wie es so daliegt und den Wolken ihr Spiegelbild zeigt. Doch er ist kalt – meine Vernunft sagt nein und sie gewinnt.
Seine so besondere Spiegel- und Leuchtkraft verdankt er seinem Moorwasser. So ist das Bad nicht nur erfrischend, sondern auch gesund. Das Moor tut selbst in seiner stark verwässerten Form gut, der Haut, den Muskeln und dem Wohlbefinden.
Viel Glück den werdenden Eltern
Für die Moorwanne soll das Moor nicht dünn, sondern so zäh sein, dass man sich in der Wanne gerade noch in die Masse hineinarbeiten kann. Dank der Moormänner und ihrer frühmorgendlichen Arbeit am Dampfkessel gelingt das auch. Moorfrauen gibt es übrigens nicht, die Arbeit ist zu schwer.
Gebe man zu viel Wasser ins Moor, würde es seine Heilkraft verlieren, erklärt mir Andrea Fend vom Biohotel moor&mehr. Sie muss es wissen, denn sie schwört aufs Moor und ihre Gäste sowieso. Sie kommen, um wieder fit zu werden. Sogar beim Thema Kinderwunsch geht es ins Moor. Dass es auch dabei helfen kann, glaube ich sofort, als ich den Lebensbaum der „Moorbabys“ im Kurpark entdecke. Ursprünglich wurden Bäume für jedes nach einer Moor-Therapie geborene Kind gepflanzt. Die Mädchen bekamen Ebereschen, die Jungs jeweils eine Linde. 2016 waren es endgültig zu viele Bäume für den Mini-Wald. Ersatz musste her. Den gibt es jetzt in Form einer stilisierten Baumskulptur, an deren Ästen die Namen der Moor-Kinder baumeln. Genug Platz wieder für neue Babys. Und die wird es sicher geben, davon ist Andrea Fend überzeugt.
Das einzigartige Bergkiefern-Hochmoor hat eben besondere Kräfte beziehungsweise eine einmalige Zusammensetzung, die es so nur in Bad Kohlgrub und Bad Bayersoien gibt. Erst ab 700 Höhenmetern wachsen die Bergkiefern. Bad Kohlgrub liegt auf 880 Metern. Es ist das höchstgelegene Moorheilbad.
Das Moor hält ewig
Ich möchte allerdings eher die Tiefenwärme spüren. Reicht da nicht auch eine Fango-Packung? Nein Stefan Glas, der mich später mit auf den Moorweg nimmt, kennt sich aus. Das Moor ist die Passion des Osteopathen und Heilpraktikers. Schließlich hat er sogar einen eigenen Moorstich, 200 Meter lang und 10 Meter breit. Dort sticht er das Moor, weiß genau, wann welche seiner Parzellen an der Reihe ist und wohin er das gebrauchte Moor zurückführen muss. Nach 8 bis 10 Jahren kann er es wieder verwenden. Dann hat es sich erneuert, ganz von selbst. Moor-Recycling vom Feinsten. Moor ist also nicht nur extrem gesund, sondern auch noch ein ökologisches Highlight der Natur - Eine Ressource, die sich selber schont.
Fango, den ich als Laie ja auch schon wunderbar erholsam und entspannend finde, ist vulkanischen Ursprungs. Er wärmt zwar, erklärt mir Stefan Glas, gibt aber keine Wirkstoffe über die Haut an den Körper ab. Beim Moor ist das anders. Es ist organisch. Hier am Rande der Allgäuer Alpen sind es unter anderem die Bergkiefern, die sich hier zum Moor zersetzt haben.
Warum denke ich eigentlich ständig an Latschenkiefern-Öl? Damit hat das Moor überhaupt nichts zu tun. Es riecht auch eher erdig als ätherisch. Auf alle Fälle vertorften die Bergkiefern mit den Jahrtausenden und da es immer genug Brennholz gab, musste das Moor beziehungsweise der Torf nicht als Brennstoff herhalten. Glück gehabt! Es kann gebadet werden.
Doch erst einmal die Packung gegen den Rückenschmerz. Die Volkskrankheit aller Schreibtischtäter hat auch mich nicht verschont. In beiden Badeorten, Bad Kohlgrub und Bad Bayersoien, sind die Packungen der Renner. Wer noch nicht ganz ins Moor eintauchen möchte, lässt es sich erst einmal häppchenweise verabreichen.
Also rauf auf die Liege, den Rücken auf das 45 Grad warme Moor platzieren – dann beginnt die Talfahrt. Die Liegefläche wird abgesenkt in eine Art Wasserbad. Ich schwebe. Die Moorpackung passt sich an mich an und nicht ich an sie. Der Raum wohltemperiert, durchs geöffnete Fenster dringt ein wenig Gezwitscher, gleich gegenüber des Parkhotels Bad Bayersoien beginnen die moorigen Wiesen, die sich bis zum See erstrecken. Es scheint, als ob das Moor alles Zwicken aus mir heraussaugt. Dabei verdanke ich die Wohltat seinen Substanzen, die es an mich beziehungsweise meinen Rücken abgibt . Huminsäure, Kieselsäure, Enzyme, Vitamine, Mineralien , eine scheinbar endlose Kraft steckt in der braunen Masse. Was vermoderte Bäume und Gräser alles leisten können….
Danach noch einmal eine Pause am See - die Holzliegen auf dem Steg sind frei.
Naturkino mit 360 Grad Panorama ganz für mich allein. Ich habe meinen Kraftort entdeckt.
Jetzt ruft der Berg
Das Hörnle soll es sein, der Hausberg von Bad Kohlgrub. Nostalgie vom Feinsten und das passt ja auch zum alten Moor. Die Schwebebahn, die hinauf aufs Hörnle führt, ist zwar nicht ganz so alt, doch im Vergleich zu den modernen Skiarenen scheint sie eher dem Schwarzweißfilm entsprungen. Langsam schaukle ich hinauf, über saftige Wiesen, durch hohen dunklen Tannenwald und mit einem grandiosen Weitblick, der mich fast erschlägt. Die Panoramabeschreibung an der Bergstation, erklärt mir, was ich sehe. Auch wenn ich es nicht erkennen kann, so fühle ich München ganz, ganz weit hinten am Horizont. Einbildung und Sehnsucht helfen dabei. Deutlicher sind wieder der Soier See und dazu der Staffelsee, Murnau und der Froschhauser See zu erkennen, die liegen mir quasi zu Füßen. Dann noch eine kleine Brotzeit in der Hütte mit anschließender leichter Wanderung und schon geht es wieder schaukelnd bergab. Ich könnte auch laufen, rauf wie runter, aber mir hat es der alte Sessellift angetan. Wobei ich das Aus- oder Absteigen inzwischen auch begriffen habe. Einfach stehen bleiben. Die „Liftboys“, zwei Ammergauer Urgesteine, die die Bahn schon länger betreuen, ziehen den Sitz im großen Bogen zur Seite. Erst wenn der weitergondelt, hat der Fußgänger freie Bahn. Auch das ist wieder so etwas Besonderes fürs Kohlgrub-Gefühl.
Naturheilkunde aus dem Mittelalter
Noch ein Abstecher zu den Ochsen, die zu meinem Hotel moor&mehr gehören, und schon kommt Hildegard von Bingen an die Reihe. Die Universalgelehrte und Naturheilkundige wusste schon vor mehr als 800 Jahren, wie Körper, Geist und Seele zu heilen sind. Was eigentlich als Hobby begann hat Andrea Fend, Gesundes Bayern- und Moor-Expertin, ins Konzept ihres Bio-Kurhotels integriert. „Das passt einfach perfekt zusammen und gibt den doppelten Schub von innen und außen, so werden die Organe doppelt gestärkt und der Stoffwechsel gleich zweifach angekurbelt,“ schwört sie auf Hildegard von Bingen und den Naturstoff Moor gleichermaßen. Ihre Gäste lieben es. Der „Bertram“ wird dabei besonders gerne herumgereicht. Das Heilgewürz fördert unter anderem auch das Gedächtnis. Nichts wie her damit. Für die Sehkraft ist er auch gut und für vieles mehr. Und schon würze ich mein Kürbisrisotto gleich einmal mit einer Brise „Bertram nach. Viel hilft bestimmt viel.
Gagant gab es schon zum Frühstück in Hildegard von Bingens Dinkel-Habermus. Ein ziemlich fester Dinkelbrei, das klingt vielleicht nicht so richtig lecker, ist es aber. Zumindest mir schmeckt der Habermus, der Kraft gibt, sättigt und den Blutzuckerspiegel in Schach hält. Auch in ihm steckt Bertram und dazu Gagant. Als „Gewürz des Lebens“ wird das Ingwergewächs bezeichnet und hilft bei nahezu allem, auch dem Kreislauf.
Die Extraportion Energie und Kraft für den Winter
Und so bekomme ich am Morgen gleich die doppelte Portion Lebensgewürz. Denn mein erstes richtiges Moorbad ist gerichtet. Vor dem Einstieg steckt mir meine Badefrau noch eine Portion Galgant zu: „Für die bessere Durchblutung und das Herz,“ erklärt sie noch, während sie mir beim Einstieg ins dichte, dicke, dunkle Moor hilft. Zwischen 39 und 41 Grad soll es warm sein. Individuell abgestimmt auf jeden Badegast. Meines hat heute runde 40 Grad. So soll eine Art künstliches Fieber erzeugt und die Durchblutung jedes einzelnen Organs aktiviert werden. Das hilft bei Depressionen, Burnout und bei Erschöpfung. Es nimmt den Stress und beruhigt. Die Lebenskraft wird angekurbelt und dazu auch noch gesteigert.
„Wenn das kein krönender Wochenendabschluss ist,“ denke ich, während ich immer tiefer in die dicke, warme Masse sinke. Mein ganz persönlicher Push für den Winter und gegen den Novemberblues.
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