Achtung Vorurteile: Ist Bad Bocklet zwar schön, aber doch stinklangweilig?
Auszeit vom Alltag: Das ist mein Programm für einen Kurzbesuch in Bad Bocklet. Doch während der Anfahrt bohren die Fragen. Gibt es dort für ein Wochenende genug zu tun? Und was passiert, wenn sich der Vorhang der Nacht über Bad Bocklet senkt – werden dann alle Bürgersteige hochgeklappt? Bad Bocklet, das muss man wissen, liegt am Rand der bayerischen Rhön und hat nur 4860 Einwohner. Und die verteilen sich auch noch auf sieben Gemeindeteile mit witzigen Ortsnamen – Großenbrach! Hohn! Nickersfelden! Gibt es hier, mitten im ländlichen Nirgendwo, wenigstens ein paar aufmüpfige Dorfgespenster? Oder ist das Staatsbad zwar biedermeierlich-schön, aber am Ende doch stinklangweilig?
Ha, erwischt! Mir ging es aber ähnlich: Auch ich hatte meine Vorurteile. „Wieder so ein ahnungsloser Stadtmensch!“, könnte man in Bad Bocklet sagen. Dort erzählen manche mit überraschend viel Selbstironie, ihr Zuhause sei ein „großer Kurpark mit angegliedertem Dorf“. Bad Bocklet ist eines der fünf Bayerischen Staatsbäder und hatte einst einen Ruf wie Donnerhall für sein eisenhaltiges Heilwasser. So hatte ich insgeheim befürchtet – Achtung, jetzt kommen Klischees! –, dass dort ausschließlich in beige gekleidete Menschen unterwegs sind, die sich beim Nachmittagskaffee ausführlich von ihren Wehwehchen erzählen. Von wegen!
Auszeit vom Alltag: Die Leute kommen aus ganz Deutschland in die Rhön
Lust auf prickelndes Champagnerwasser? Darauf, die Natur als Fitnessstudio zu nutzen? Auf authentische Ayurveda-Massagen? Oder auf Waldbaden – nicht am helllichten Tag, sondern bei Vollmond? Mit solchen Angeboten zieht Bad Bocklet auch Leute an, die Lust haben für eine Auszeit vom Alltag – so wie ich selbst. Berlin, Frankfurt, Stuttgart, München: Ganz Deutschland hat den Weg in den Norden Bayerns gefunden, verraten die Nummernschilder auf dem Parkplatz.
Am Abend stehen zwei Pärchen an der Rezeption und lassen sich den Weg zur Kissinger Hütte und zum Berghaus Rhön erklären, zwei Wanderparkplätze. Aber um diese Zeit? Neugierig, wie ich bin, muss ich natürlich fragen: „Was wollt ihr denn dort später, mitten in der Nacht?“ Die Antwort ist sowohl jugendfrei als auch legal, weshalb ich sie hier wiedergeben darf: „Sterne gucken!“ Das UNESCO-Biosphärenreservat Rhön hat Regionen, in denen kein künstliches Licht die Nacht zum Tag macht. Hier kann man also noch versuchen, die vielen Milliarden Sterne der Milchstraße zu zählen.
Tolle Idee: Beim Picknick unterm Firmament die Sterne zählen
Das Firmament (und mit etwas Glück auch mal eine Sternschnuppe) zu genießen tut übrigens nicht nur der Seele gut, sondern auch dem Körper. Denn im Dunkeln wird das Anti-Aging Hormon Melatonin produziert, das dem Körper hilft, sich zu regenerieren. Auch bei der Stärkung des Immunsystems soll Melatonin helfen, heißt es in der Broschüre des Sternenparks Rhön. Statt vor dem Schlafen gehen aufs bläulich leuchtende Handy-Display zu starren, werde ich auch zu Hause immer mal wieder den Kopf in den Nacken legen. Oder, noch besser, mich mit ein paar Freunden zu einem nächtlichen Sternenpicknick in der Rhön verabreden!
Keine Esoterik: Beim Waldbaden bei Vollmond schärfen sich meine Sinne
Ein Spaziergang im Wald, nicht tagsüber, sondern in der Nacht? Ist etwas Ungewöhnliches, stimmt, doch für mich immer ein Erlebnis. Heute ist sogar Vollmond. Und wer wie ich das Glück hat, in einer Vollmondnacht in Bad Bocklet zu sein, muss unbedingt mit Susanne Reuss Waldbaden gehen. Oft ist das Waldbaden ja eine etwas betuliche Angelegenheit. Ehrlich gesagt bin ich nicht immer in Stimmung für Achtsamkeitsübungen wie jene, bei denen man sich eine halbe Stunde mit einem Buchenblatt beschäftigen soll. Susanne Reuss bringt mich auf eine andere, angenehm direkte Art runter. „Das ist kein Marathon“, sagt sie, als ich glaube, das Tempo vorgeben zu müssen. Ich, der normalerweise eher im Stechschritt unterwegs ist, lerne von ihr also das Schlendern. „Für mich hat Achtsamkeit nichts mit Esoterik zu tun. Sondern damit, im Moment zu sein und etwas ganz bewusst zu machen“, erzählt sie. Deswegen auch das Waldbaden bei Vollmond: Wenn nur noch fahles Licht den Weg erleuchtet, sind die Augen keine große Hilfe mehr. So schärfen sich automatisch meine anderen Sinne.
Wir treffen weder auf eine Rotte Wildschweine (glücklicherweise) noch auf den Biber, der gerade daran arbeitet, die Saale aufzustauen (leider). Das vielstimmige Symphonieorchester der Natur spielt nachts zwar kein Tutti, ich höre trotzdem viel: Das Krächzen einer Krähe, das Rascheln einer Maus – und den Wind, der in Eichen dramatischer rauscht als in Fichten. Nachts in den Wald hineinzuhorchen, ist irgendwie ungemein entspannend. „Das ist übrigens eine super Übung für die Mittagspause, um runterzukommen“, gibt mir Susanne Reuss noch als Tipp mit. „In der Fußgängerzone, im Park, egal wo: Einfach mal die Geräusche zählen, die man hört. Wir können uns zwar nicht zwingen, nicht zu denken. Aber so stoppt man mal das nervige Gedankenkarussell.“
Mal langsam, mal schnell: Mit dem richtigen Tempo raus in die Natur
Mit Susanne Reuss entdecke ich also den Zauber der Langsamkeit. Mit Wolfgang Braun darf es dann schon mal schneller gehen. Bei der Gästeinformation kann man sich für sein Gesundheitswandern anmelden. Ich bin irritiert: „Wandern ist ja per se gesund – wie kann man also das Gesunde noch Gesünder machen?“ Wolfgang Braun, der in einem früheren Leben mal Ausbilder bei der Bundeswehr war und nun mehr Outdoor-Zertifikationen hat, als ich hier aufzählen kann, muss nicht lange überlegen. „Es geht darum, die Natur als Fitnessstudio zu nutzen!“
Also los! Nicht steil den Berg hinauf („Es ist zwar nur die Rhön, aber den Leuten aus dem Norden kommt es fast schon wie ein Hochgebirge vor“), sondern entspannt das Tal entlang. Das Tempo ist flott, aber noch so, dass wir uns gut unterhalten können. „Auch wenn’s mal ungemütlich kalt ist oder nieselt, so wie jetzt: Rausgehen sollte man trotzdem“, ist Wolfgang Brauns Devise. Und natürlich hat er recht: Ich merke, wie gut es mir tut, mich durchpusten zu lassen. Wir sind nur zwei Stunden auf Tour, doch es fühlt sich an wie ein Frühjahrsputz.
Genervt die Kalorien zählen? Lieber zum Heilfasten nach Bad Bocklet!
Spaß macht die Tour auch, weil das Wandern durch Übungen aufgelockert wird. Wir balancieren über einen Holzsteg, machen Kniebeugen auf der Wiese, und Seitenstützen an einem Zaun. Und weil ich kein Kalorienzähler bin, gönne ich mir, zurück im Kurpark, nicht nur einen Cappuchino. Sondern auch ein Stück Erdbeerkuchen... Gemeinerweise fällt mir genau dann ein Flyer auf, der das „Bockleter Fasten“ anpreist. Wenn’s ums Entschlacken und die Stärkung der Abwehrkräfte geht, scheint Bad Bocklet also auch eine gute Adresse zu sein.
Hoch über dem Dorf liegt am Waldrand ein großes Rehabilitations- und Präventionszentrum. Dort plant man, in diesem Jahr erstmals eine dreiwöchige Anti-Entzündungs-Kur anzubieten. Los geht’s mit einer Woche Heilfasten, um dem Körper eine Verschnaufpause zu gönnen. Dann folgt der Kostaufbau mit mediterraner Ernährung. Das schmeckt dann nicht nur gut, sondern hat wegen vieler ungesättigter Fettsäuren, Antioxidantien und sekundären Pflanzenstoffen auch einen entzündungshemmenden Effekt. Kombiniert mit Bewegung und Entspannung kann man so Krankheiten wie Arthritis oder Rheuma vorbeugen. Prävention ist eben immer noch die beste Medizin, um gesund zu bleiben.
Wo die Königin schwanger wird: Deutschlands stärkste Eisenquelle
„Für das Beste der leidenden Menschheit“: Das klingt für meinen Geschmack zu theatralisch, aber ich lebe ja auch nicht im 18. Jahrhundert. Damals wurde der Brunnentempel gebaut, dessen Portal Besucher noch immer mit dieser Inschrift begrüßt. Entdeckt wurde die Bockleter Quelle vor bald 300 Jahren, und bald kam allerlei Prominenz für Trinkkuren in den kleinen Ort an der Fränkischen Saale. Deutschlands stärkste Eisenquelle soll dafür gesorgt haben, dass die bis dahin noch kinderlose Königin Marie von Bayern schwanger wurde – ihr Sohn war der spätere König Ludwig II., dem wir die berühmten Prachtschlösser verdanken.
Sollte ich nach meinem Kurzaufenthalt in Bad Bocklet nun ebenfalls schwanger werden, wäre das ein noch größeres Wunder. Aber den Stoffwechsel anregende Mineralien tun ja auch einem Männerkörper gut. Gläser gibt’s keine, also halte ich meine Trinkflasche an den Balthasar-Neumann-Brunnen. Der Geschmack? Nun ja: Freundlich gesagt etwas gewöhnungsbedürftig. Wer als Heimwerker schon mal einen alten Nagel im Mund hatte, dürfte wissen, wovon ich rede... Aber Medizin muss ja nicht gut schmecken, sondern soll wirken. Literweise trinkt man Heilwasser ja ohnehin nicht. Vielleicht kann man den Tipp, jeden Tag einen Apfel zu essen, auch hier anwenden – „ein Schluck a day keeps the doctor away“?
Taschentuchbaum – gibt’s das wirklich? Auf Spurensuche im Kurpark
„Die Bockleter altern nicht. Sie rosten!“ Kurt Mahlmeister darf sich diesen Spruch erlauben, denn der legendäre Brunnen liegt mitten in seinem Revier. Der joviale Gärtner ist für den Kurpark verantwortlich, der als Gartendenkmal eingetragen ist. Die Wiesen am Rand der Saaleaue lässt er nur gelegentlich mähen, weswegen dort jetzt bis in den Mai hinein die Wildtulpen blühen. Auch die Anemonen, erste Vorboten des Frühlings, dürfen unter den alten Bäumen wuchern. Zucht und Ordnung herrscht dagegen in den Rabatten an den klassizistischen Gebäuden. „Das Highlight aber sind die Bäume“, sagt Kurt Mahlmeister. Und so verbringe ich die nächste halbe Stunde damit, jene Bäume zu suchen, die beim Quartett sichere Joker wären. Wer kennt schon Christusdorn, Farnblättrige Buche, Urweltmammutbaum oder – mein Favorit! – den Taschentuchbaum?
Es kitzelt, tut aber der Haut gut: Abtauchen im Champagnerbad
Hinterm Kurhaus versteckt sich das Kneippbecken: Im Sommer treffen sich dort die Jogger zum Erfrischen. Nichts gegen einen anregenden Kälteschock, doch heute habe ich Lust auf Entspannung – im Champagnerbad! Bevor mir jetzt vorschnell Dekadenz vorgeworfen wird: Das Bockleter Heilwasser prickelt dank der vielen Kohlensäure wie edler Schaumwein. Den würde man gut gekühlt trinken, das Badewasser ist dagegen angenehm temperiert. 20 Minuten liege ich für das Stahlbad (so der offizielle Name) in der Wanne und versuche, mich nicht zu bewegen: Abermillionen winzige Bläschen steigen auf und kitzeln meine Haut.
Nebenan liegt eine fast hundert Jahre alte Unterkunft, die es geschafft hat, sich neu zu erfinden. Sanatorium? Kurpension? Kurhotel? Das war einmal: Der ganze Plüsch ist auf dem Sperrmüll gelandet, und heute ist das Kunzmann’s ein Ort, von dem ich mich nach meinem Kurzbesuch nur ungern verabschiede. Das liegt, so schön er auch ist, nicht am großen Spa. Sondern daran, dass Ayurveda hier genau so traditionell praktiziert wird wie in Indien. Hätte ich nicht erwartet!
Ayurveda in Bad Bocklet: Anerkannte Medizin statt Wohlfühl-Wellness
„Zum Kennenlernen“, „Jungbrunnen“ (in den würde ich gerne eintauchen!) oder „Regenerationskur“: Es gibt drei Ayurveda-Pakete mit Behandlungen, Yoga, und ayurvedisch-veganer Vollpension. Wenn ich das vorher gewusst hätte... Leider bleibt mir vor der Abreise nur noch Zeit für eine Anwendung. Doch selbst dann ist vorher ein vierseitiger Gesundheitsfragebogen Pflicht, den man dann mit dem Arzt durchzugehen hat. Ayurveda wird hier eben tatsächlich als das verstanden, was es in Asien ist – anerkannte Medizin statt Wohlfühl-Wellness.
Arzt Jibin Manjila kommt aus Indien, wie übrigens alle im Team. Er hat erst in Kerala Ayurvedische Medizin studiert, danach zehn Jahre in Kliniken gearbeitet – und ist gerade mal Mitte 30. Dann übernimmt der höfliche Therapeut Pradeep Kumar, der schon das eigens aus Indien importierte Brahmi-Öl vorbereitet hat. „Bitte nicht einschlafen“, sagt er leise, als ich mich auf die Massageliege lege. Doch es sind nicht die Bewegungen seiner Hände, die mich augenblicklich entspannen lassen. Sondern der sanfte Strahl des Kräuteröls, der im Rhythmus meiner Atemzüge von links nach rechts über meine Stirn fließt.
Blind Date mit Bad Bocklet: Ein toller Ort für die Reise zu mir selbst
Noch einmal bin ich hin und weg, denn mein Blind Date mit Bad Bocklet hat sich als Glücksgriff erwiesen. Zwar klein, aber echt oho: Ich war schon an wirklich vielen Orten, doch hierher komme ich gerne zurück – für die Reise zu mir selbst.
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