Waldbaden klingt irgendwie ein bisschen esoterisch, ein wenig wirklichkeitsfremd, fühlt sich aber extrem gut an. Und es hat durchaus seine Berechtigung, wie ich Schritt für Schritt von Elke Seidel lerne. Die Bayern-Gesundheitsexpertin und Waldgesundheitstrainerin in Bad Alexanderbad kennt sich aus im Wald und weiß was guttut. Seele und Körper soll zwischen den Bäumen gesunden und das nicht nur im Akutfall, dann wenn es schon fast zu spät ist, sondern durchaus auch präventiv. Der Wald, der hilft - jedem und eigentlich bei allem. Auch mir? Und wenn ja wobei?
Links stehen die Kühe auf der gut eingezäunten Weide von Kleinwendern, einem dörflichen Ortsteil von Bad Alexandersbad. Es ist das erste bayerische Arche-Dorf. Rotes Höhenvieh, eine ganz besondere Rasse, die hier quasi wieder auferstanden ist. Stören lässt sich das Vieh nicht, es guckt nur ein bisschen dumm, als wir am Waldesrand schon mit der ersten Übung beginnen. Waldbaden ist eben mehr als nur baden. Es ist ein Walderleben mit allen Sinnen.
Und dazu gehört bei Elke Seidel auch das Barfußlaufen
Schuhe aus und ab ins Gras
Vor dem vollen Bad im Wald steht erst einmal das Fußbad auf der Wiese. Kühl ist das Gras. Die grünen, langen Halme umschmeicheln die Zehen. Die Gänseblümchen dazwischen fühlen sich etwas knorpeliger an, dann stößt ein kleines Rindenstück gegen den großen Zeh. Bewusst soll ich gehen. Warum? Ich kann das doch. Es geht darum, sich auf das Gehen einzulassen, das Tempo rauszunehmen. „Wir rennen immer nur durch die Gegend, sind immer in Eile“, erklärt mir Elke Seidel, während sie stolzen Schrittes den Storch gibt – nur die roten Strümpfe fehlen, wir sind ja barfuß. Also bewusst gehen, nicht schlurfen und hetzen, sondern Knie hoch und das Auftreten spüren. Nach einer Weile klappt es ganz gut. Jetzt noch die Augen schließen, an die Balance denken, und weiter „storcheln“. Der Boden fühlt sich jetzt anders an - das Gras scheint noch weicher zu werden.
Dieses Bewusst-werden und Sich-bewusst-machen ist als Gehmeditation ein fester Bestandteil des Waldrituals. Die Sinne schärfen. Sich vom Alltag entfernen. Ruhiger werden. Den Boden spüren – das hat etwas von Erdung.
Von der Wiese auf den Weg, die Steine piksen. Meine Blicke scannen den Boden ab. „Bitte jetzt keine Nacktschnecke“, schweifen meine Gedanken ab. Die möchte ich nicht zwischen meinen Zehen spüren. Das Glück ist auf meiner Seite - ihnen ist es heute nicht feucht genug.
Hier kommt der Wald
Riesig sind die Bäume. Mischwald, Tannenwald – von allem genug. Wald, so weit das Auge reicht. Und schon nach den ersten Metern spüre ich, wie gut er tut. Ich habe das Grün zuhause in der Stadt vermisst. Hier finde ich es, von hell- bis mittelgrün, von tannengrün bis farngrün und signalgrün. Dazwischen zieht sich als braun-orangefarbenes Band ein Pfad. Die Erde daneben moosgrün bis hellbraun, natürlich auch wieder in unzähligen Schattierungen. Das Licht bahnt ich seinen Weg durch das Blätter- und Nadelwerk.
Licht aus – jetzt wird es dunkel
Nach einem ersten Eintauchen in den Wald, heißt es „Augen zu“. Der Wald soll erspürt werden. Ist das schon das Bad? Nein, nicht ganz. Denn das Waldbaden setzt sich aus vielen keinen Erlebnissen zu einem großen zusammen. Später wird es mir vorkommen, als sei der Badezuber, mit jedem Schritt, mit jedem neuen Entdecken und Erfühlen größer geworden.
Shinrin Yoku nennen das die Japaner. Bei ihnen ist das Waldbaden schon lange in die Gesundheitsvorsorge mitaufgenommen und wird als Gesundheitsprävention verordnet. Es senkt den Stresshormonspiegel und den Blutdruck. Jetzt geht es aber erst einmal um Vertrauen und Loslassen und natürlich wieder ums Spüren. Partner suchen, Händchen halten und führen lassen.
Blindes Vertrauen – eine besondere Herausforderung
Die Kontrolle wird abgeben. Paarweise führt man sich, eine sieht, die andere hat die Augen fest geschlossen. Ein bisschen wie Blinde Kuh, mit fürsorglicher Führung. „Einen Schritt weiter nach links, jetzt geht es etwas bergauf, hier eine Grasnarbe und jetzt eine Baumwurzel“, ich komme mir vor wie im tiefsten Dschungel, besteige scheinbar richtige Hügel, wanke ein steiles Gefälle hinab- Kaum darf ich wieder hinsehen, schrumpfen die Abhänge und Steigungen auf ihr Normalmaß zurück und entpuppen sich als nur kleine Unebenheiten. Man wird sensibler durchs „blind gehen“. Viel aufmerksamer nehme ich auf einmal die Umgebung wahr und dabei wird sie irgendwie größer, mächtiger. Schotter wird zu Kieselsteinen, eine schmale Wurzel zum herumliegenden Baumstamm.
Der Wald wächst und dabei kommt das Vertrauen zurück. Sind die dicht stehenden Bäume nicht schon seit der Kindheit angstbeladen? Wie war das noch mit Hänsel und Gretel oder den Räubern aus dem Spessartwald. Doch hier im Fichtelgebirge fasse ich Vertrauen zum Wald. Selbst vor dem Verlaufen, meinem ständigen Waldproblem, brauche ich mich nicht mehr zu fürchten: Erstens bin ich nicht allein und zweitens sind alle Wege perfekt ausgeschildert. Da würde sogar ich zu den wiederkäuenden Kühen zurückfinden.
Weiter geht es. Jetzt den Wurzelweg hinauf. Die Blaubeerbüsche am Wegesrand sind leider schon längst geplündert. Dann ein kleiner blauer Flecken und noch einer – lecker! Die Blaubeerzeit ist vorbei, jetzt wachsen die Pilze. Und still ist es.
Das Schweigen im Wald
Jetzt darf ich zwar schauen, aber dafür nicht mehr sprechen – anstrengend. Ich möchte fragen, was hier wächst und wieso, möchte am liebsten alles kommentieren, aber nein - auf dem Wurzelweg herrscht Sprechverbot. Vielleicht gar nicht so schlecht, schießt es mir nach einigen Metern durch den Kopf. Es geht bergauf. Also Puste sparen, weiterlaufen und den Stimmen des Waldes lauschen. Reduktion aufs Wesentliche – den Wald.
Ich habe das Gefühl, ihn immer mehr zu spüren, so ganz ohne Ablenkung. Und ganz ehrlich, ich fange an, mich zu entspannen. Das bewusste Wahrnehmen hilft.
Auch das des Bodens, denn nach dem Felsenweg, geht es erst einmal querfeldein. Der Waldboden scheint aus Watte zu sei, so weich habe ich ihn noch nie erlebt. Oder fehlte mir bisher nur die richtige Einstellung, das bewusste Daraufachten? Wie bin ich sonst im Wald unterwegs? Entweder mit Familie oder Freunden (schon allein wegen der Orientierungslosigkeit), zum Joggen mit Musikbegleitung, mit einem Hund, auf den ich achten müsste, wenn ich denn einen hätte. Also: Mit Ablenkung. So ganz ohne fällt mir jedes Blatt auf, das langsam durch die Sonnenstrahlen zu Boden fällt, jede Blüte gleich neben dem Weg, jeder Ast und … jeder Fels.
Denn auch die gibt es hier im „Märchenwald“. Vollkommen unerwartet tauchen sie auf einmal auf, wie hingeworfen und vergessen. Grauer Granit moosbewachsen. Also anfassen, das Moos berühren. Elke Seidel zeigt noch einmal die unterschiedliche Strukturen, das unterschiedliche Erfühlen kommt da ganz von selbst. Achtsamkeitsübungen gehören zum Waldbaden dazu. Mal etwas borstig, mal feingliedrig, mal wie das weichste Daunenkissen überwuchert das Moos den alten Stein.
Kur- und Heilwald Bad Alexandersbad: Ein ganz besonderer Wald
Was den Wald von Bad Alexanderbad so besonders macht? Er ist einfach märchenhaft, niemanden würde es wundern, wenn hier der Jäger nach Schneewittchen fragen, Hänsel und Gretel oder der ein oder andere bärtige Räuber zwischen den dichten Bäumen auftauchen würden. Doch der Wald ist auch ein Kurwald, der für Ruhe, Entspannung, Stille steht, in den Spaziergänger genauso wie Waldbader ganz ohne zusätzliche Ausrüstung eintauchen können. Und - er ist (bis auf die hilfreichen Wegweiser) naturbelassen. „Das Waldareal wird so genutzt, wie es da ist, nichts wird verändert“, schwärmt Elke Seidel von ihren Fichten, Buchen, Eichen, Birken und Douglasien.
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