Mein erstes Mal in der Kältekammer: Ich fühle mich wie neu geboren
Mein erstes Mal fühlt sich an wie... Wie eine Geburt! Ganz ehrlich: Natürlich ist das Ganze erst einmal ein krasser Schock. Für meinen Körper sowieso, denn der wird für kurze Zeit extrem kalt erwischt. Die Temperatur an der Oberfläche meiner Haut sinkt schlagartig auf unter fünf Grad – warum, das erkläre ich gleich. Aber auch mein Kopf kommt mit der ungewohnten Situation erst einmal nicht klar. Während ich also in der kleinen Kabine langsam die Arme kreisen lasse und ab und an in die Knie gehe, um nicht einzufrieren, dreht sich im Gehirn mein Gedankenkarussell so schnell wie eine Waschtrommel im Schleudergang.
Ungewohnt? Ja. Unangenehm? Nein. Drei Minuten in der Kältekammer, bei minus 110 Grad: Das lässt sich nicht nur aushalten. Es ist sogar eine überraschend coole Erfahrung. Wesentliche Körperteile frieren dabei nämlich nicht ab, keine Sorge. Denn im Kurzentrum Weißenstadt am See marschiere ich nicht splitternackt in die Kabine. Neben Badehose trage ich Turnschuhe und Fäustlinge, Mund- und Ohrenschutz. Weil die Luft so trocken ist, ist das selbst für Frostbeulen wie mich erträglich. Die Kälte spüre ich vor allem am Oberkörper und in den Waden.
Frisch und hellwach: Nach nur drei Minuten kommt der Glücksmoment
Alle 30 Sekunden wird die Zeit angesagt, und die geht deutlich schneller vorüber, als von mir insgeheim befürchtet. Als alles vorbei ist, dampft erst mein ganzer Körper. Dann kribbelt es plötzlich überall. Meine gerötete Haut fühlt sich so neu und lebendig an, als sei sie frisch gepellt und elektrisch aufgeladen. Kurze Zeit später kommt das Glücksmoment: Frisch fühle ich mich, bin hellwach. Ich könnte jetzt einen halben Wald umsägen. Oder einen Marathon laufen. Oder die ganze Welt umarmen. Kurz: Mir geht es richtig, richtig gut – was für ein geiles Gefühl!
Ich konnte mir vorher nicht vorstellen, was mit mir passiert, wenn ich mich einer solchen Kälte aussetze. Doch es lohnt sich, einmal etwas Neues auszuprobieren. Das kann ich jetzt, nach einem überraschend abwechslungsreichen Wochenende, auch über Weißenstadt selbst sagen. Viele von Euch kennen den Ort wohl nicht – es gibt in Bayern größere, deutlich berühmtere Heilbäder und Kurorte. Doch genau deshalb ist Weißenstadt interessant. Jedenfalls für jemanden wie mich, der gerne auch mal abseits ausgetretener Pfade unterwegs ist und Unbekanntes entdecken will.
Spurensuche in Weißenstadt: Was gibt es Besonderes im Fichtelgebirge?
„Erholungsort mit Heilquelle“: Was ich beim schnellen Googeln als Erstes über Weißenstadt finde, klingt zwar sehr seriös, aber nicht wirklich prickelnd. Im Fichtelgebirge war ich allerdings noch nie. Und oft gibt es ja gerade in Orten, die kaum bekannt sind, ziemlich Spannendes zu erleben. Ich gebe Weißenstadt also eine Chance und suche bei meinem Kurztrip nach den neuen, besonderen Seiten der Stadt – und werde fündig. Mehr noch: Sozusagen on top erhalte ich ein paar überraschend coole Anwendungen, die meinem Körper und Geist gut tun.
Welcome to Weißenstadt! Von der A9 ist es nur ein 15 Kilometer-Katzensprung, aber sofort fühle ich mich mitten auf dem Land – Roggenfelder in den Tälern, Wald auf den Hügeln, in der Ferne die Gipfel des Fichtelgebirges. Ich werfe mein Gepäck im Siebenquell Gesundzeitresort ab und mache einen Abendspaziergang. Dass der länger dauert als geplant, und dass ich es nicht mehr rechtzeitig zurück zum Abendessen schaffe, liegt an zwei Dingen. Zum einen am Weißenstädter See, 50 Hektar groß, wo mich der Rhythmus schwappender Wellen und das Fiepen turtelnder Haubentaucher die Zeit vergessen lassen. Das Idyll ist der perfekte Ort zum Runterkommen nach einer stressigen Woche! Zum anderen liegt es daran, dass ich an diesem Abend ungeplant versacke.
Frischer Wind für alte Mauern: Eine Dorfkneipe für das 21. Jahrhundert
Mit Blick auf Rathaus, Kirche und Marktplatz, neben Pizzeria und Eisdiele, liegt das Antiquariat Kaufmann’s. Jedenfalls war es das mal, genauso wie es mal eine Fleischerei war und eine Sattlerei, ein verwinkelter Tante-Emma-Laden und ein Lagerraum für Stocknägel (das sind, ich musste auch erst aufgeklärt werden, anscheinend Souvenirabzeichen für Wanderstöcke – kennt das noch jemand?). Hoffentlich schreiben Olga, Philipp und Klaus (mit den jovialen Franken in Weißenstadt wechselt man beim ersten Bier zum Du) ja mal ein Buch, wie es dazu kam, dass sie als Trio Infernale den Laden übernommen haben, und warum der nach dem Fernsehdetektiv Wilsbergensis heißen musste. Jedenfalls haben sie kurzerhand eine Dorfkneipe für das 21. Jahrhundert ins Leben gerufen.
Schon mal fränkisch meditiert? Los geht’s – nur mal „aweng bleed schaua“!
Ich suche mir zwischen Bücherstapeln und allerlei Antiquitäten und Kuriositäten (in der Badewanne liegt ein Skelett) einen Sofaplatz. Mein Plan: Das zu machen, was man fränkische Meditation nennt – hinsetzen und „aweng bleed schaua“. Das funktioniert allerdings nur eine Minute, nicht länger. Erst verwickelt mich ein pensionierter Kripo-Kommissar und passionierter Mineraliensucher in ein Gespräch, dann lerne ich noch ein halbes Dutzend andere Leute kennen. Ein Ort des Austausches will das Wilsbergensis sein, ein Raum für Kunst und Kultur, weshalb es hier Ausstellungen gibt und im Hinterhof auch mal einen Kinoabend. Eine super Initiative – hier schaue ich gerne wieder mal vorbei.
Sauna? Schneekammer? Ich gehe erst mal auf „GesundZeitReise“
Der nächste Morgen gehört komplett dem Siebenquell Gesundzeitresort, wie die erst 2016 eröffnete Weißenstädter Therme offiziell heißt. Am Abend würden mich sicher die Saunen locken, von denen es immerhin acht verschiedene gibt, darunter eine Bäckereisauna (wo ich frisch gebackenes Brot verkosten könnte) und eine Brauereisauna (wo es Bier gäbe – die ist sicherlich bei vielen beliebt). Zum Abkühlen ginge es dann in die Schneekammer. Doch ich steuere weder den Saunabereich an noch springe ich in die großen Becken, deren fluoridhaltiges Schwefelwasser aus fast 2000 Metern Tiefe nach oben gepumpt wird. Mir wurde ein Besuch der Abteilung „GesundZeitReise“ empfohlen. Mal schauen, was es damit auf sich hat...
Schon in normalem Thermalwasser kann ich gut regenerieren. In Weißenstadt setzen sie aber noch einen drauf: Rund um ein Atrium mit einem sieben Meter hohen Obelisken führen Eingänge zu sieben Mineralienbädern. Die kann man einzeln genießen oder je nach Lust und Laune auch kombinieren. Ich starte auf gut Glück im sogenannten Energie- und Lebensfreudebad – und suche dort vergeblich nach Wasser. Davon gibt es in der Wüste eben recht wenig, Sand dafür umso mehr. Und so reibe ich mich wie einst schon die alten Ägypter in Abu Simbel mit warmem Sand ein. Das soll nicht nur entschlackend wirken und den Stoffwechsel anregen, sondern macht mich vor allem auch richtig munter.
Erst die Entspannung, dann das Essen: Hier kommt „Gold“ auf den Teller
Aus dem alten Ägypten lasse ich mich nun ins Römische Reich beamen, um im Dampfbad meine Lunge durchzupusten. Dann besuche ich für einen Kälte-Kick die Griechen, die schon vor Pfarrer Kneipp darauf schwörten, Abwehrkräfte mit kalten Güssen zu stärken. Nach einem kurzen Stopp im Calcium-Lithium-Bad (hilft Knochen und Muskeln und soll stimmungsaufhellend wirken), mache ich den Abschluss im Toten Meer. Auch das haben sie nämlich in Weißenstadt nachgebaut, zumindest einen kleinen Teil. Schwerelos im Wasser schweben: Das ist für mich Entspannung pur.
Irgendwann knurrt mein Magen. Doch bevor ich mir was zum Snacken suche, steht noch der Gang übers Feld ins Museum an. Übers Feld, weil in Weißenstadt ein Roggengarten angelegt worden ist: Dort wird dem „Gold des Fichtelgebirges“ gehuldigt, denn der anspruchslose Roggen war früher das Hauptbrotgetreide. Nebenan steht das Rogg-In, ein pädagogisch-poetisches Informationszentrum für Roggenkultur. Noch ein paar Schritte weiter – mein Magen knurrt jetzt wirklich! – hat der Weißenstädter Brothersteller PEMA einen Concept Store eingerichtet.
Volles Korn: Ich kaufe Souvenirs für die Daheimgebliebenen
Hip, hell, modern: Der Laden mit angeschlossenem Café ist nicht nur deswegen mein Geheimtipp, weil hier viele aus traditionellem Natursauerteig hergestellte Roggen-Vollkornprodukte zu reduziertem Preis angeboten werden. Sondern vor allem, weil es dort leckere Vollkorn-Pizze gibt, guten Kaffee, und sogar Vollkorn-Lebkuchen, die (und das ist ein Kompliment!) nicht nach Vollkorn schmecken. Ich erkundige mich nach den Öffnungszeiten: Bevor ich abfahre, werde ich den Kofferraum noch mit kulinarischen Mitbringseln voll laden...
Auch für flüssige Souvenirs habe ich in Weißenstadt eine gute Adresse aufgetan. „Eher weniger und bewusst, als mehr und gedankenlos konsumieren“: So bringt Marcel Völkel seine Lebenseinstellung auf den Punkt. Das allein macht ihn mir schon sympathisch. In Sachen Musikgeschmack kommen wir zwar auf keinen gemeinsamen Nenner: Die Songs von „Dying Gorgeous Lies“ und „Wasteland Clan“, den beiden Metal-Bands des Gitarristen, klingen für mich zu sehr nach Endzeitstimmung. Aber Marcel Völkel hat ja noch ein anderes Talent: In sechster Generation führt er Sack’s Destille, einen 1864 gegründeten Traditionsbetrieb.
Ein Probeschluck ist erlaubt: Wer kennt schon Gin aus dem Fichtelgebirge?
Keine künstlichen Aromen, keine Farb- und Zusatzstoffe: Marcels Kräuterbitter mit Arnika, Engelwurz oder Vogelbeere (und noch vielen weiteren Zutaten, doch die Rezepte werden natürlich nicht verraten) schmecken mir viel besser als die zuckersüße Industrieware aus dem Supermarkt. Am Ende nehme ich aber drei Probierfläschchen von etwas Anderem mit: „Illegal Gin“ aus dem Fichtelgebirge, handcrafted mit lokalen Zutaten. Dazu braucht es keinen Tonic, man kann ihn auch pur genießen – so genial, das es fast illegal ist!
Einige neue Seiten von Weißenstadt habe ich also schon kennen gelernt. Wofür der Ort seit langer Zeit berühmt ist, kann Raik Eilert erzählen, der Direktor des Kurzentrums: „Seit über 100 Jahren nutzt man hier die Heilwirkung des Radons.“ Das Edelgas gibt es nur an sehr wenigen Orten in der für medizinische Zwecke nötigen Konzentration. Die milde Strahlung hilft bei Erkrankungen, wirkt aber auch präventiv und stimuliert das Immunsystem. Im Quellwasser gebunden, wird das Radon in Weißenstadt zum Kurzentrum geleitet und fließt dort in ein großes Therapiebecken. Radon lässt sich aber auch inhalieren, bei Wannenbädern über die Haut aufnehmen, und bei der Trinkkur nutzen.
So fit werden wie Manuel Neuer: Einen Versuch ist’s wert...
Das Kurzentrum geht aber auch neue Wege. Deshalb steht dort inzwischen auch die bereits erwähnte Kältekammer. Die kann man im Rahmen einer Therapie bei Arthrose und bei Rheuma, bei Wirbelsäulenbeschwerden und bei chronischen Schmerzen nutzen. Ich aber habe sie ausprobiert, um so fit zu werden wie Manuel Neuer. Auch wenn es bei mir mit der Fußballerkarriere wohl nichts mehr werden wird: Wer dort regelmäßig seine drei Minuten absolviert, kann nach Belastungen besser regenerieren und seine Leistung steigern. Die Profis vom FC Bayern schören auf ihre Exkursionen in die Kältekammer – und ich inzwischen auch.
Einfach reinspazieren darf ich aber nicht: Vorher stehen ein Arztgespräch und eine Untersuchung an („Blutdruck 130 zu 70, da kann ich ganzen Herzens zustimmen“). Anschließend versucht Therapieleiterin Sabrina Kühl, mich auf die Kälte vorzubereiten. Sie ist supernett, scheitert aber. Kein Vorwurf: Wie sich minus 110 Grad in der Kältekammer tatsächlich anfühlen, ist schwer zu vermitteln. So eiskalt wird es in der Natur nämlich nie, weder in der Arktis noch der Antarktis. „Ich mach den Leuten richtig Feuer unterm Hintern, damit ihnen nicht kalt wird“, lacht sie und verweist auf die CDs im Regal.
AC/DC im Ohr: Hilft Hardrock gegen die Kälte?
Ich kann mir die Musik aussuchen, die mich drei Minuten lang unterhalten soll. Statt dem „Baierisch-Diatonischen Jodel-Wahnsinn“ entscheide ich mich für „Highway to Hell“ von AC/DC. Ob das Hardrock-Höllenfeuer mich genügend wärmen wird? Die Kälte jedenfalls empfängt mich beißend, sticht scharf wie ein Messer. Ich wiege mich hin und her, wedle mit den Armen, wackle mit den Fingern, gehe in die Knie. Trotzdem habe ich ein Grinsen im Gesicht, denn mein Körper setzt Hormone wie Adrenalin frei. Schneller als gedacht, geht’s dann zusammen mit einer Nebelwolke wieder raus aus der Kammer. Mein ganzer Körper prickelt. Und mir wird wohlig warm.
Wie es mir bei der kurzen Reizbehandlung ergeht, bei der die Selbsthilfekräfte des Körpers animiert werden – so wie beim Kneippen, nur noch extremer? Wie gut ich mich danach fühle, den ganzen Tag lang? Beides ist schwer in Worte zu fassen. Ich habe es zwar versucht. Aber besser, ihr erlebt es selbst – und lernt dabei gleich auch noch das überraschend nette Weißenstadt kennen.
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