Komisch eigentlich: Obwohl mein Bruder vor den Toren Bad Reichenhalls wohnt und ich schon oft zu Besuch war, habe ich es immer noch nicht geschafft, mir mal in aller Ruhe die Stadt anzusehen. Bis jetzt! Diesmal fahre ich direkt hinein in das Bayerische Staatsbad – und bin komplett überrascht, wie schön, erholsam und facettenreich es hier ist. Kommen Sie mit mir auf meinen gesunden Wochenend-Trip ins südlichste der Bayerischen Staatsbäder? Dann geht es hier entlang, bitteschön:
Die Stadt zum Durchatmen
Egal, ob man aus Memmingen, Münster oder wie ich aus München kommt: Nach der Anreise will man erst mal einatmen, ausatmen, ankommen, richtig? Den perfekten Ort dafür entdecke ich im Königlichen Kurgarten und seinem riesigen, hölzernen Gradierhaus. Das größte Freiluftinhalatorium der Welt verdampft zwischen April und Oktober ganz fein vernebelte AlpenSole, für die der Ort so berühmt ist. Schon seit dem Mittelalter fördert man das tief unter der Stadt sprudelnde flüssiges Salz, von dem man heute weiß: Es ist frei von Umweltgiften, reich an Mineralstoffen und nachweislich gesund! Bei Lungenproblemen etwa ist Inhalieren eine Wohltat, schon 30 Minuten reinigen die oberen Atemwege, befeuchten die Bronchien und hemmen Entzündungen.
Im Gradierhaus plätschert die Sole seit 1910 über 13 Meter hohen Schwarzdorn-Reisig. Einen zarten Salzgeruch in der Nase, spaziere ich den überdachten Wandelgang entlang, atme tief ein, atme tief aus – und fühle mich in der alpinen Salzbrise fast wie am Meer. Auch ohne gesundheitliche Beschwerden ist diese Luft ein Erlebnis. Danach suche ich mir einen Platz auf einer der vielen schicken Holzliegen, die im Park verteilt sind. Natürlich mit Blick auf die Berge. Ich versinke zwischen dicken Teppichen aus Blumen, blinzle in den Himmel und bin: angekommen.
Bayerisch essen und gute Unterhaltung
Hunger! Also auf ins bayerische Gasthaus Wieninger Schwabenbräu ganz in der Nähe des Kurgartens: In der Wirtsstube ist es entspannt rustikal, aber das Wetter ist so strahlend, dass ich lieber im großen Biergarten sitze. Hier leuchten die tannengrünen Tische und Bänke mit den satten Farben der Kastanienblätter um die Wette. Was gibt’s denn heute Feines? Natürlich bayerische Klassiker von Schweinebraten über Käsespätzle bis Hirschragout. Das Rinderhüft-Steak mit Röstgemüse und Kartoffel-Wedges am Nachbartisch sieht auch verführerisch aus. Bei dem Wetterchen nehme ich trotzdem lieber die Salat-Bowl mit frischen Pfifferlingen und Speck, der kross gebraten auf einem Holzspieß daherkommt. Sauguad! Nicht nur optisch.
Zurück in die 50er Jahre: Plüschvorhang auf im Programmkino
Angenehm gesättigt spaziere ich später die Fußgängerzone hinunter zum letzten Highlight für heute: das Park-Kino, ein Programmkino mit ausgezeichneter Filmauswahl und ganz besonderem Ambiente. Schon seit 1918 laufen hier Filme – in den Kolonnaden des Axelmannstein, dem ersten Kurhotel der Stadt. Zwischen Leuchtschrift, einem Schaukasten mit Filmplakaten und einer noble Kinolounge für die erwartungsvollen Minuten vor Beginn des Films fühle ich mich in die fünfziger Jahre zurückversetzt. Dazu schmückt in den zwei größeren Sälen ein dunkelroter, schwerer Vorhang die Leinwand, die erste Reihe wird durch bequeme Liegesessel aufgewertet, in einem der Räume sind die hintersten Plätze auch mit schicken Sofas zum Kuscheln für zwei ausstaffiert. Der dritte Saal ist mehr ein Sälchen: eine Kino-Lounge für nur zehn Personen mit mondäner Sofa-Landschaft in Gold-Tönen! Wäre ich nach der Vorstellung nicht so angenehm müde von der frischen Bergluft, dem guten Essen, dem wohligen Kino-Erlebnis, könnte ich jetzt auch noch ins Casino gehen. Nächstes Mal …
Vom alten ins moderne Reichenhall
Wie war das denn genau mit dem Salz und der Kur? Im lichten, modernen Reichenhallmuseum erfahre ich es. Schon das Gebäude ist den Besuch wert: ein weiß getünchter Getreidekasten aus dem 15. Jahrhundert, der viele Jahre saniert wurde. Seit 2019 geht es vorbei an den alten Salzsäcken im Eingangsbereich auf die lange Reise zurück in die Vergangenheit. Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Boden Bad Reichenhalls vor rund 240 Millionen Jahren eine salzhaltige Lagune war. Sie trocknete aus, Sand überdeckte das abgelagerte Salz, die Kontinente verschoben sich – und in etwa 500 Metern Tiefe bildeten sich die Solequellen.
Schon in der Bronzezeit wurde hier Salz gewonnen – das Aushängeschild des Kurorts. Die Kur spielt in der Dauerausstellung deshalb auch eine entscheidende Rolle. In einem hölzernen Badezuber projiziert kann ich zum Beispiel nachvollziehen, wie die Gäste einst ihre Solebäder verabreicht bekamen. Sogar in einem Nachbau einer pneumatischen Kammer finde ich mich wieder. Der damals hier herrschende, erhöhte Luftdruck verschaffte etwa Asthma-PatientInnen nachhaltig Linderung.
Mode und mehr über den Dächern der Stadt
Ein paar historische Gassen hinter dem Reichenhallmuseum betrete ich das Kaufhaus Juhasz, das als schönstes Modehaus Deutschlands gilt: Die Auswahl auf den vier Fashion-Etagen ist modern und die Gestaltung des Hauses mit Sichtbeton, Eichenholz und integrierten Relikten der historischen Stadtmauer wunderbar urban. Ich finde tolle Klamotten als Mitbringsel für meine Kinder – und entdecke mein persönliches Herzstück des Hauses, die Juhasz Tagesbar. Im Indoor-Bereich stehen Vintage-Möbel aus Holz, Leder und Eisen zwischen Brotregalen aus den 30er Jahren. Darin: hübsch gelabelte Feinkost und Homeaccessoires, die ich am liebsten alle mit nach Hause nehmen würde. Noch besser wird es nur in der Etage darüber: Von der Terrasse aus habe ich ein Meer aus schimmernden Dächern unter mir, dahinter Wald und Gipfel, vor mir einen Cappuccino. Cremig, warm, herrlich.
Gesalzene Erholung
Nachmittags erlebe ich in der RupertusTherme, wie entspannend sich Sole auf der Haut tatsächlich anfühlt: Sie reichert in vielen Pools das Thermalwasser an. Alpensole-Whirlpool, Alpensole-Dampfbad, Alpensole-Anwendungen – überall sorgt sie auch in mir für mehr Wohlbefinden, weil sie etwa meine trockene Haut pflegt sowie meine Muskeln und Gelenke lockert.
Sich ganz entspannt treiben lassen
Besonders intensiv ist die Begegnung in der unterirdischen Solegrotte, die wie ein mystisches Bergwerk beleuchtet ist. Hier gleite ich ins Soleschwebebecken, die 38 Grad warme, zwölfprozentige Flüssigkeit schmiegt sich sanft an meinen Körper und ich treibe vor mich hin. Anfangs ist es gar nicht so leicht die Balance zu halten, doch bald umgibt mich nur noch ein schwereloses Gefühl der Geborgenheit. Hier fahre ich wirklich mal richtig runter, es zählt nichts außer dem Moment. Danach könnte ich natürlich noch in die ausgedehnte Saunalandschaft (mit Salzstollen-Variante!) und mir eine gesunde Anwendung mit Salz, Sole, Laist, Latschenkiefer, Edelweiß oder Moor gönnen. Aber: Ich habe heute noch was vor. Deshalb duschen, anziehen – und zurück in die Stadt zum Abendprogramm.
Von wegen verstaubt: Philharmonische Klänge
Ich habe Konzertkarten für die Bad Reichenhaller Philharmoniker! Das richtig gute Orchester tritt fast täglich auf und hat viel Tradition: Schon seit 1868 spielt hier die Musik, die zu Glanzzeiten der Badekultur der erklärte Höhepunkt des Tages war. Seit 1912 zeigt das Orchester in der neobarocken Konzertrotunde was es kann, seit Dezember 2020 unter der Leitung des jungen, schwungvollen US-amerikanischen Dirigenten und Pianisten Daniel Spaw. Während er mit den 40 Berufsmusikern zusammen „Musikalische Schätze in Wort, Ton und Bild“ auf die Bühne bringt, tanzt und springt er beinahe. Auch meine Füße lassen sich nicht ruhig halten: Ich muss einfach mitwippen! Das überrascht mich etwas, denn insgeheim dachte ich eigentlich, das alles würde verstaubter klingen. Stattdessen macht mir der brillante, beschwingte Sound von Walzer, Polka und Galopp von anno dazumal richtig gute Laune – auch noch nach dem Konzert.
Zu Besuch beim weißen Gold
Ein puristisches Schloss? Oder doch eher eine neoromanische Kathedrale? Nein, dieses edle Gebäude aus Backstein ist die Alte Saline, die von 1837 an erbaut wurde (mit Kapelle on top!) und in der sich seit 1834 ohne Unterbrechung mit rauschendem Getöse gigantische Wasserräder drehen. Ein Glöckchen bimmelt und verkündet damit jede Umdrehung.
Hinab zum Ursprung des Kurorts
Richtig beeindruckend auch: das verzweige Stollensystem darunter. 200 Treppenstufen tief steige ich in die Gänge mit den düster glänzenden Wänden. Es tropf leise von der gewölbten Decke, der Boden ist feucht und die Luft schmeckt, klar: salzig. Gut, dass ich vorsorglich eine dickere Jacke dabeihabe, es hat unter Tage nämlich nur herbstliche zwölf Grad. Die fünf Meter hohe Salzgrotte, die sich zwischen den Gängen plötzlich auftut, ist eine natürliche Höhle. Das Herzstück ist jedoch die erstaunlich filigran und friedlich vor sich hinarbeitende Karl-Theodor-Pumpe. Sie fördert nach wie vor Sole ans Tageslicht, die unter anderem direkt in den Kurgarten und die RupertusTherme geleitet wird. Zurück über der Erde schlendere ich noch durchs Salzmuseum und erfahre genauer, wie die Bergleute und Salzsieder einst gearbeitet haben.
Schön ist es hier an der Alten Saline! So schön, dass ich mir für mein Lunch das angeschlossene „Salin“ nicht entgehen lassen will. Das moderne Restaurant liegt in einem der ehemaligen Sudhäuser, die Wände sind unverputzt, die Dachbalken freiliegend. Auf der Terrasse: Sonne, Berge, Olivenbäume, feines Essen, dazu der Blick auf das schicke Industriemerkmal – besser kriegt das auch Italien nicht hin.
Kaffee mit Aussicht
Ich möchte hoch hinaus! Dafür schlendere ich Richtung Predigtstuhlbahn, die mich auf den Hausberg der Bad Reichenhaller bringt. Erst noch geht es aber durch das Florianiviertel. Die altbayerische Architektur ist eine Seltenheit in Bad Reichenhall, denn ein großer Brand zerstörte 1834 beinahe den ganzen Ort. Doch dieser blühende Fleck mit den hübschen Giebeln, vorspringenden Dächern und alpenländischen Malereien auf pastellfarbenen Fassaden blieb verschont. Früher werkelten hier Küfer, Kupferschmiede und Färber, heute beleben Künstler, Kunsthandwerker und Blumenbinder die kleinen Gassen.
Mit der „Grande Dame der Alpen“ in luftige Höhen
Und dahinter: der Predigtstuhl! 1613 Meter sind es bis zum Gipfel, die Großkabinenseilbahn von 1928 hält etwas tiefer. „Grande Dame der Alpen“ wird sie auch genannt, denn Sie ist die weltweit älteste Seilbahn ihrer Art, die noch im Original erhalten ist. Wie elegant so eine Gondel sein kann! Rot, in Pavillonform, die Bezeichnung „Salonwagen“ passt wirklich gut. Achteinhalb Minuten schwebende, beinahe lautlose Nostalgie später bin ich oben. Die 40 Minuten auf der Panoramarunde mit leichter Steigung auf den Gipfel und über die Almhütte Schlegelmulde zurück zur Bergstation ist genau das richtig für mich. Zu meinen Füßen schlängelt sich erst die smaragdfarbene Saalach in Talkessel der Stadt, dahinter erstreckt sich das flache Alpenvorland, ich kann sogar den Chiemsee erspähen. Später habe ich die Berge vor mir, da wächst etwa das Watzmannmassiv in den Himmel und auch den Wilden Kaiser erkenne ich am Horizont. Wow, was für ein Glück!
Das habe ich auch im retroschicken Bergrestaurant aus den 1920er Jahren: Ich ergattere für meinen Abschieds-Kaffee eine der Vintage-Holzsofas mit Blumenkissen, vor mir eine Vase mit Blümchen, hinter der pastellgrünen Eisenbrüstung nochmal die ganze Pracht des Panoramas. Voller toller Eindrücke, Erlebnisse und Aussichten fühle ich mich dem Himmel ganz nah. Wer braucht da schon Südtirol?!
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