Annehmen, was ist

„Langsam gehen wir durch das Gras. Der Boden unter unseren nackten Füßen fühlt sich angenehm kühl an. Einige Halme kitzeln uns zwischen den Zehen. Mit Bedacht setzen wir einen Schritt nach dem anderen – spüren, wie es sich anfühlt. Um uns herum zwitschern Vögel, ab und an springt ein Grashüpfer über die Wiese. Die Sonne kitzelt auf unseren Armen und wärmt uns angenehm“.

Mit dieser Meditationsreise nimmt mich Wiebke Zint, Leiterin der AYAS Yoga Akademie in Bad Hindelang, mit auf eine virtuelle „Schulung der Sinne“. Dabei geht es nicht nur darum, was ich vor meinem inneren Auge sehe, sondern auch darum, was ich empfinde. Ziel einer solch geführten Meditationsübung ist es, meine Sinne zu trainieren. „Schärfe Deine Wahrnehmung so oft es geht“, rät mir die 71-Jährige. Am besten natürlich in freier Natur, denn Bewegung an der frischen Luft stärkt uns seelisch und körperlich. „Gehmeditation“, nennt man das dann. Oder: Bewusst wahrnehmen, was mich umgibt. Das hilft, mich zu fokussieren. Meine Aufmerksamkeit auf Dinge zu lenken, die mir Kraft geben: Das Zwitschern der Vögel, das Rauschen der Bäume, der Schmetterling, der vor mir tanzt.

Corona ist Stress

Innere Ruhe und Ausgeglichenheit sind der Schlüssel zu einem gesunden, stressfreien und erfüllten Leben. Gerade jetzt, in der Corona-Zeit, wird es zunehmend schwieriger, die psychomentale Balance und körperliche Ausgeglichenheit zu erhalten. Beschwerden, wie zum Beispiel chronische Rückenschmerzen, Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich, Kopfschmerzen, aber auch innere Unruhe, Konzentrationsschwäche und Angstsyndrome werden mit Stressbelastung in Verbindung gebracht. „Und Corona ist Stress: Wir müssen mit einer Situation umgehen, die wir überhaupt nicht kennen, wir haben nichts Konkretes – den Virus kann man nicht sehen. Es ist etwas da, das wir nicht fassen können. Und das macht uns Angst – zusätzlich zu der akuten wirtschaftlichen Bedrohung, die viele durch die Situation erfahren“.


Mittlerweile ist erwiesen, dass jede Art von Stress schädlich ist für den Körper. Es gibt Studien, die zeigen, dass Stress Diabetes begünstigt, mehr als die Ernährung sogar. Und dass jede Art von Stress das Immunsystem entgleisen lassen kann, was wir gerade jetzt vermeiden wollen.

Vertrauen auf meine inneren Ressourcen

Seit Corona bewege ich mich mehr als sonst an der frischen Luft, nehme bewusster meine Umwelt wahr, fokussiere mich auf meinen Atem, ernähre mich gesund – und bin innerlich trotzdem unruhig. Was kann ich noch tun, um gelassener mit der Situation umzugehen? „Ich habe hohes Vertrauen, dass es irgendwo in mir und in den Menschen um mich herum etwas sehr Positives gibt“, verrät Zint. „Darauf sollten sich die Menschen jetzt fokussieren: auf etwas Positives und auf die eigenen inneren Ressourcen“. Womit wir wieder beim Thema Meditation wären. Denn das ist ein Weg, sich wieder auf all das zu besinnen.

„Meditieren ist Bodybuilding für´s Gehirn“. (Dalai Lama)

Klingt einleuchtend, was der Dalai Lama da sagt, aber wenn ich Meditation höre, denke ich an stundenlanges Sitzen, in mich hineinhören (und doch nichts hören) und krampfhaft versuchen, „nichts“ zu denken (was bei mir zur Folge hat, dass ein Gedanken den nächsten jagt). Kurz: Ich bin eher nicht so der Meditationstyp. Und ganz ehrlich: Schon das Wort stresst mich. Überraschend für mich zu erfahren, dass es ganz verschiedene Meditationsformen gibt: „Wir Menschen sind unterschiedlich. Ich kann sechs Wochen allein irgendwo sitzen, das macht mir nichts aus. Aber so geht es nicht jedem. Auch einen bewussten Gang in die Natur kann man als Meditation nutzen – zum Beispiel in Form von einer Gehmeditation. Oder ein gutes Buch, wenn ich mich nur darauf ausrichte“, klärt mich Wiebke Zint auf. Ohne es zu wissen, habe ich also schon immer meditiert: Ich kann stundenlang auf´s Meer schauen, in die Stille der Berge hören oder dem Wind lauschen. Jetzt muss ich es nur öfter machen, denn neben körperlichen Symptomen wirkt sich Stress auch auf das sogenannten Bauchhirn aus. Dies steuert uns intuitiv, ist es intakt, funktioniert auch unser Immunsystem.

„Yoga ist mehr als asiatische Mattengymnastik“

Mit diesem Satz erwischt mich Wiebke Zint eiskalt: Bis jetzt hatte ich tatsächlich gedacht, dass der herabschauende Hund, die Katze oder kompliziertere Verrenkungen dieses Yoga sind, von dem alle Welt redet – und an dem ich nie ganz teilhaben kann, weil meine Beine seit Jahren einfach nicht in den Lotussitz wollen. Wiebke beruhigt mich: „Yoga im Alltag zu üben bedeutet: Ich sorge für mich!“ Und das sollten wir ja eigentlich immer tun – nur in Krisenzeiten verstärkt.

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